Maharashtra


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Uwe: 13.Oktober 2002 – 26 Stunden später kommen wir mit dem Rajdhani-Express in Panvel an. Völlig pleite, denn auch für das Essen im Zug mussten wir teuer bezahlen. Meine Klingel ist kaputt, Claudias Tacho fehlt. In der Aufregung haben wir vergessen, ihn wegzunehmen. Auf dem Weg in die Stadt durchqueren wir ein Slum-Gebiet. Menschen in einfachen Hütten mit Foliendächern. Und überall Müll. Wir fahren ins Zentrum der Stadt. Recht schnell finden wir eine Lodge, Rheki, schmuddelig, aber ganz okay.

Beim abendlichen Gang durch die Stadt fallen uns die zahlreichen Juweliere auf. Scheint ein Zentrum für Geschmeide zu sein. Und teilweise steht ein Mann mit beeindruckendem Gewehr vor der Tür. Überhaupt scheint die Stadt ganz schön groß zu sein. Plötzlich tut sich ein großer, völlig chaotischer Markt auf. Indisch halt. Es gibt alles zu kaufen. Obst, Gemüse, Schlösser, Radios,… Und dazwischen immer wieder Kühe, die im Müll kramen oder einfach nur im Verkehr stehen. Und wir und unsere Fahrräder halt. So viel zu kaufen und wir haben kaum noch Geld. Wir leisten uns noch zwei Gläser Zuckerrohrsaft – lecker – und erfreuen den Verkäufer mit einem europäischen Geldstück.

Claudia: Mo, 14. Oktober 2002
„Da müsst ihr zur State Bank of India“ sagt der Mann in der Bank of Maharashtra „die macht aber erst um 10.30 auf“. Na super. Wir finden uns damit ab, den ganzen Vormittag uns mit Formalitäten abmühen zu müssen. Auf der Suche nach der Bank stoßen wir auf ein Schild „VISA, VISA plus, Maestro,…“, die ganze Palette. Na also. Plötzlich ist alles ganz unkompliziert. Wir ziehen was geht und sind wieder flüssig.

Irrwege in schöner Landschaft

Die Tour nach Matheran kann beginnen. Matheran ist ein Bergerholungsort und was wirklich verlockend ist: Autos, Mopeds, Auto-Rikschas sind verboten! Die Frage nach dem Weg führt uns immer wieder auf den National Highway. Aber auf der Karte ist noch eine andere Straße. Wir sind wild entschlossen, diesmal auf kleinen Straßen vorwärts zu kommen. Und die ersten 20 km sind fantastisch.

Es ist heiß. Wir fahren auf einer ruhigen Straße durch eine schöne hügelige Landschaft. In einiger Entfernung sind Tafelberge und andere witzig formierte Bergspitzen zu sehen, die irgendwie an das Monument Valley erinnern. Es ist erstaunlich ruhig. Sind wir noch in Indien? Doch bei jeder Pause ist dies wieder klar. Plötzlich sind Menschen da. Doch plötzlich zeigen sie nicht mehr fröhlich in unsere Fahrtrichtung, sagen „Matheran“ und wackeln bejahend mit dem Kopf. Sie weisen in die entgegengesetzte Richtung und sagen „Panval“. Aber da kommen wir doch her. Trotzdem machen sie uns glaubwürdig und eindringlich klar, dass wir umkehren müssen.

Wir fahren zurück und riskieren an einer Kreuzung einen weiteren Versuch. Der Weg führt steil bergauf und endet in einem kleinen Dorf, das nur aus ein paar Hütten besteht. Auch hier schicken uns alle nach Panval. Wir werden eingeladen, uns im Hof eines Hauses im Schatten ein wenig auszuruhen. Eine Frau kommt mit einer Dose und einem Löffel. Sie gibt uns einen großen Löffel Zucker in die Hand. Aus Versehen halte ich meine linke Hand hin. Wie peinlich! Da sitze ich nun mit dem Zucker in der „unsauberen“ Hand. Und jetzt? „Zunge rein und abschlecken“ meint Uwe. Genau. Wir bekommen Wasser gebracht. Angesichts unserer fast leeren Trinkflaschen ist das sehr gut, so dass wir die Bedenken hinsichtlich der Wasserqualität über Bord werfen. Alles an dem Haus macht einen sehr entspannten Eindruck. Männer, Frauen und Kinder stehen auf einer Art Veranda herum und lachen uns an. Nachbarn kommen vorbei, schauen, was los ist. Das Dorf macht einen sehr armen Eindruck, ist aber kein Vergleich zu den Slums um Panval.

Und nach Panval müssen wir wieder zurück. Nach 40 km sind wir wieder da, wo wir am Morgen gestartet sind. Also doch National Highway. Kleinlaut begeben wir uns auf die lärmende Straße. Wir sind froh etwas außerhalb von Chowk eine Unterkunft zu finden. Wir sind auf einem riesigen Gelände mit Bäumen, verschiedenen Räumlichkeiten, Kinderspielplatz und Kinderkarusell. „Marriages“ stand u. a. auf dem Schild am Eingang und tatsächlich kann man sich vorstellen, dass hier tolle Hochzeiten gefeiert wurden. Momentan ist es allerdings gespenstisch ausgestorben und heruntergekommen. Unser Zimmer sieht aus, als wäre es seit einem Jahr nicht mehr bewohnt worden. Sogar das Wasser ist abgestellt.

Trotzdem erhalten wir noch was zu essen. Ein ca. 13-jähriger Junge ist ganz beflissen bemüht, uns zu bedienen. Wir bekommen trübes Wasser eingeschenkt – das trinken wir nun doch besser nicht und bestellen Pepsi. Während des Essens kommt der Junge immer wieder angelaufen und legt Gemüse oder Reis auf unsere Teller nach. Fast wie im Luxusrestaurant, nur das unser „Kellner“ ein völlig zerlöchertes T-Shirt trägt und uns ständig kleine Mücken, Motten, Käfer von der Neonröhre ins Essen fallen. Aber wir werden satt und es schmeckt mal wieder gut. So schlafen wir schließlich ganz zufrieden ein.

Nächtlicher Besuch

2 Uhr nachts, wir liegen im Bett. Ich werde wach, höre ein Geräusch hinter mir am Fenster. Ich wecke Uwe. Wir spitzen die Ohren. Ist da jemand? Plötzlich sehe ich, wie eine Hand den Vorhang in unserem Zimmer beiseite schiebt. Das gibts doch gar nicht. Empört schimpfen und reden wir laut los. Wir krabbeln unter unserm Moskitonetz hervor und leuchten mit der Taschenlampe ins Dunkle. Das Fenster steht weit geöffnet. Es ist niemand zu sehen.

Uwe:
Wir sind plötzlich hellwach und aufgeregt. Was jetzt? Zuerst verschließen wir Fenster und Türen mit unseren Fahrradschlössern und Kabelbindern. Wir beschließen, durch Pfeifen und Rufen auf uns aufmerksam zu machen. Mit Licht und Pfefferspray bewaffnet wagen wir uns vor die Tür und lärmen für zwei bis drei Minuten fleißig herum. Nichts passiert. Im Raum nebenan haben wir doch am Abend Licht gesehen Warum kommt keiner von denen zur Hilfe. Da liegt doch eine bestimmte Vermutung nahe?! Wir verbarrikadieren uns wieder im Zimmer und beruhigen uns. Der Dieb wird wohl kaum ein zweites Mal kommen. Wir legen uns hin. Claudia liest und ich schlafe fast wieder ein. Da hören wir erneut Geräusche. Wir gehen ans Fenster und sehen, wie jemand mit einem Stock klopfend über das Gelände geht. Als er unmittelbar an unserem Fenster vorbeikommt, blinken wir ihn mit unserem Licht an und rufen. Er reagiert überhaupt nicht, geht einfach weiter. Sehr seltsam. War das jetzt eine echte Wache oder ein Gauner, der nur feststellen wollte, ob wir wach sind? Wieder sind wir hellwach und wissen nicht so recht, was wir tun sollen. Versuchen doch zu schlafen? Packen?

Irgendwie vergeht die Zeit. Gegen 4.30 Uhr beschließen wir, zu packen und bei Sonnenaufgang abzuhauen. Gegen 5.30 sind wir gerade dabei, die Wäsche einzusammeln, als der merkwürdige Wächter nochmals vorbeikommt. Wir können uns so gut wie gar nicht verständigen, glauben aber, so zu verbleiben, dass wir gern Tee zum Frühstück hätten. Noch im Dunkeln rollen wir mit den bepackten Rädern zu den Tischen am Ausgang und warten auf den Sonnenaufgang und den Tee. Die Sonne kommt, der Tee nicht. Wir malen die nächtliche Szene auf ein Stück Papier und lassen es auf dem Tisch liegen. Gegen 6.15 ist es hell. Wir fahren endlich los.

In Chowk frühstücken wir. Auch hier empfinden wir die Menschen als sehr verschlossen und unheimlich. Obwohl es noch so früh ist, sind bereits viele Menschen unterwegs. Die Sonne taucht die staubige Straße in Chowk in wunderbares Morgenlicht.

Die Strecke nach Neral ist nett. Wir nähern uns den Bergen. Schon vor 10 Uhr sind wir mitten im geschäftigen Treiben von Neral. Leider können wir die Fahrräder nicht mit nach Matheran nehmen. Auch Fahrräder sind verboten. Wir schließen sie bei einem vertrauenerweckenden Mann ein und nehmen den 11 Uhr Zug nach Matheran. Die Minibahn schlängelt sich in zweistündiger Fahrt den Berg hinauf und bietet immer wieder fantastischen Ausblick zu beiden Seiten.

Die Hill Station Matheran

Claudia:
Es poltert auf dem Wellblechdach. Munter springen die Affen über die Dächer und Bäume. Im Bad plätschert es. Uwe müht sich ab, indisch mit Eimer und Becherchen zu duschen. Das geht ganz gut und ist enorm wassersparend. Heute wartet eine große Aufgabe auf uns. Wir müssen einen Liebesbrief übersetzen. Seit gestern Abend schleicht Junior um uns herum. Er hat einen dreiseitigen Brief für seine deutsche Freundin, den wir unbedingt übersetzen sollen.

In Matheran wohnen wir im Hope Hall Hotel. Das ist ein unglaublich nettes Hotel, das von einer christlichen Familie geführt wird. Die Tochter heißt Maria, ein Sohn Josef…

Ja und Josef ist Junior und selbiger sitzt mal wieder neben uns. Vielleicht fließt mehr von seiner Liebe in den Brief, wenn er Uwe beim Übersetzen ganz genau beobachtet? Der Ärmste ist ganz schön ungeduldig und nervös. Dabei sieht er ansonsten eher cool aus: Vokuhila, sehr kräftig, viel Geschmeide um den Hals und entweder komplett weiß oder komplett schwarz gekleidet.

Maria erzählt uns, dass sie sich für den Umweltschutz engagiert. Umweltschutz in Indien? In Matheran wurde die Organisation von einer Frau vorangebracht, die durchsetzte, dass Matheran auch heute noch frei von Fahrzeugen ist, außer Pferden und Hand-Rikschas. Matheran drohte sich zu verändern und seinen ursprünglichen Charakter zu verlieren. Immer mehr Hotels entstanden in dem kleinen Bergerholungsort, die überhaupt nicht mehr dem ursprünglichen Stil entsprachen. Die Frau, von der Maria berichtet, setzte mit ihrer Organisation einiges für den Ort durch, auch wenn sie manchmal zu radikal war. Heute sind zwei Krankenwagen die einzigen motorisierten Fahrzeuge. Und tatsächlich ist Matheran nicht nur wegen der Ausblicke und der tollen Lage, sondern gerade auch deshalb ein Ort zum Entspannen – und damit etwas ganz Besonderes in Indien.

Warnung vor den Western Ghats
Die Planung der Weiterreise erweist sich als schwierig. Junior rät uns ab, durch die Western Ghats zu fahren. Zu gefährlich. Wenn wir denn unbedingt mit dem Fahrrad fahren wollten, wäre die einzige Möglichkeit, nach Shahapur zu fahren und dort auf dem National Highway einen Truckfahrer um „Lift“ nach Nashik zu bitten. Auf jeden Fall müssten wir tagsüber fahren. Auch Maria hat uns bereits gewarnt „People disappear“. Haben die Inder einfach Angst vor einsamen Gegenden, weil sie dies nicht gewohnt sind? Aber auch ein Kumpel von Junior warnt vor den Western Ghats und im Restaurant sagt uns der Wirt „Tribes will rob you“. Wir sollen nach Mumbai und dann mit dem Zug nach Aurangabad. Nach 16 Uhr würden sich auch die Einheimischen aus Matheran nicht mehr in den Ghats aufhalten. Lodges gibt es keine und mit den Fahrrädern seien wir nicht schnell genug, um es zu schaffen und wenn etwas passiert, ist keiner da, der uns hilft.

Angesichts der eindringlichen Warnungen und des nächtlichen Besuchs in Chowk entscheiden wir uns also gegen eine Fahrradfahrt durch die Ghats auch wenn die Landschaft traumhaft schön aussieht. Immerhin soll es um Aurangabad herum sicher sein.

Uwe: 18. Oktober 2002
Nach zwei Tagen Entspannen und Herumschlendern in Matheran müssen wir heute wieder früh raus. Der Wecker klingelt um 4.30 Uhr. Der Zug nach Neral fährt schon um 5:45, damit die Bewohner des Dorfes damit zur Arbeit kommen können. Neral bringt uns wieder in das „bekannte“ Indien zurück. Chaos und Dreck allerorten. Die geparkten Fahrräder und das Gepäck sind völlig in Ordnung und nach einem typischen Frühstück mit frisch frittierten Kartoffel-Gemüse-Bällchen machen wir uns auf den Weg. Die Strecke ist eher langweilig. Wegen des Dunstes sehen wir nur wenig von den umgebenden Bergen. Die Straße ist sehr holprig und von Slum-Hütten gesäumt. Nach 30 km glauben wir in Kalyan zu sein, um von dort mit dem Zug nach Aurangabad zu kommen. Da klärt uns am Bahnhof ein hilfsbereiter Inder auf, dass wir erst in Ulhasnagar sind. Wieder eine lärmende, stickige und chaotische Stadt mit einem unglaublich verschmutzten Fluss in dem Schweine zwischen dem schwimmenden Müll waten. Der Inder empfiehlt uns, die restlichen fünf Kilometer mit dem Lokalzug nach Kalyan zu fahren. Hier brauchen wir die Räder nur in den Wagen zu schieben. Mit allerlei Gemüse und anderem Gepäck fahren wir das letzte Stück und landen so direkt im Bahnhof von Kalyan. Obwohl wir schon Erfahrung haben, dauert es wieder gut zwei Stunden, bis wir die Tickets haben. Nicht zuletzt wegen der großen Entfernungen zwischen Parcel Service und Ticketverkaufsstellen. Ich habe am Schalter immer wieder große Mühe, die zahlreichen von allen Seiten drängelnden Inder abzuwehren, um auch mal dran zu kommen. Die Fahrräder müssen wir um 6.10 am Parcel Service aufgeben. Also wieder früh aufstehen.

Claudia: 18. Oktober 2002
Jetzt sitzen wir im Zug nach Aurangabad und ruckeln gemütlich durch die Landschaft. Unser Gepäck hat sich vom Parcel-Service ganz bequem auf den Köpfen zweier Helfer zum richtigen Bahnsteig und Wagen bewegt. Das sah schon gut aus. Jetzt ist das Gepäck links und rechts unter allerlei Beinchen verstaut. Natürlich wollten sie Bakschisch und das haben sie sich auch verdient. „Chai, Chai, Chai“, „Coffee, Coffee“ und noch allerlei Hindi-Gerufe kunden davon, dass es unmöglich ist, in einem indischen Zug zu verhungern oder zu verdursten. Sobald der Zug in einen Bahnhof einfährt, wird es richtig lebendig. Unter der Decke des Zuges bläst eine Unmenge verrosteter Ventilatoren und die vergitterten Fenster haben sicher den Sinn, dass niemand herauspurzelt, wenn es richtig eng wird.

Aurangabad. Hier können wir mal wieder ein paar nützliche Dinge erwerben, Karten und endlich einen Ständer für Uwes Fahrrad. jetzt sitzen wir im Internet-Café und draußen höre ich wieder Uwes AirSound-Hupe. Ganz leise, denn hier drinnen plärrt Musik. Na klar, da stehen wieder fünf Inder um unsere Räder herum und grübeln über Hupe, Gangschaltung, Fahrradflaschen. Es ist schon zu komisch und die Inder haben einfach überhaupt keine Hemmungen und sind ungemein neugierig. Auch guckt mir ständig einer über die Schulter. Ganz interessiert. Ob er was versteht? Bei Uwe am Rechner ist es interessanter. Er läd die Bilder von der Kamera und ich höre, wie er unsere Route beschreibt. Die Leute hier sind sehr nett und wir beschließen, morgen zusammen zu den 25km entfernten Ellora Caves zu radeln. Wir freuen uns schon.

Ausflug zu den Ellora Caves

Paddy und Annan radeln uns schon entgegen. Paddy hat ein Rennrad und ist damit etwas besser dran als Annan mit seinem guten stabilen indischen Rad. Nach einigen Kilometern auf stark befahrener Straße gibt Annan auf. Paddy bleibt tapfer bei uns. Die Straße nach Ellora wird zunehmend ruhiger und ist oftmals von großen Mothertrees gesäumt. Sie führt vorbei am Fort Daulatabad aus dem 14. Jahrhundert. Das liegt auf einem beeindruckenden Hügel der schon wegen der Form uneinnehmbar aussieht. Der Sultan von Delhi hatte einst die absurde Idee, seine Untertanen aus Delhi hierher umzusiedeln. Viele brachen jedoch auf dem Marsch zusammen, immerhin 1100 Kilometer. Also zogen nur wenige nach und die, die es geschafft hatten, 17 Jahre später wieder nach Delhi zurück.

Kailasa Tempel
Der Kailasa Tempel

Die Ellora Caves sind wirklich sehenswert. Die Höhlen stammen aus der Zeit von 600 bis 1000 nach Christus und wurden von buddhistischen, hinduistischen und schließlich jainistischen Mönchen geschaffen. Alle 34 Höhlen sind in den Fels geschlagen. Besonders beeindruckend ist der Kailasa Tempel. 7000 Arbeiter haben 150 Jahre herumgehauen.

Ellora ist ein ruhiger und schöner Ort. Unser Besuch war ein wenig geprägt von der Ungeduld unseres jugendlichen Begleiters und den vielen indischen Touristen, die uns fotografieren wollten. Dafür ist es im Gegenzug sehr leicht, die Inder zu fotografieren. Es genügt, die Kamera auszupacken und schon werfen sich die „Models“ ins Bild. Das sind jedoch vornehmlich die Männer und Kinder. Die Frauen in ihren fotogenen und farbenprächtigen Sarees sind da schon bescheidener, aber auch nicht böse drum, wenn wir ein Foto machen möchten. Es ist schon sehr merkwürdig. Da befinden wir uns an einem so historischen Ort und indische und westliche Touristen fotografieren sich gegenseitig.

Am Abend gehen wir mit Paddy und Kunal essen und interviewen sie für unser Album amicorum. Dabei stellt sich heraus: Die beiden haben keine Ahnung von Deutschland und wir sind die ersten Deutschen, die sie kennenlernen.

Im Drachendorf
Unsere erste Etappe auf dem Weg nach Ajanta führt uns nach Sillod. Wir spazieren in den Ort. Vor unserem Fenster haben wir schon eine Vielzahl kleiner Papierdrachen am Himmel bemerkt. Und tatsächlich, das ganze Dorf scheint mit Bindfadenrolle und Drachen unterwegs zu sein. Wir bleiben vor einem Stand stehen, der Drachen verkauft. Das ist ein Fehler. Sogleich sind wir umringt von 20 bis 30 Personen. Englisch spricht hier niemand und unsere Hindi-Kenntnisse sind noch arg ausbaufähig. Aber dass wir einen Drachen kaufen sollen, verstehen wir doch und mit einem „muze nahin chahiye“ (das brauche ich nicht) ernten wir ein respektvollen Lacher.

Ein Geckoskelett im Klappladen
Wie lange hat hier keiner mehr gewohnt? Wir kratzen das Geckoskelett aus dem Klappladen. Bei unserer Ankunft in Fadapur, in der Nähe von Ajanta, macht alles einen trostlosen Eindruck. Doch am Abend ist es schon anders. Kinder rennen im Innenhof umher, immer wieder poltert es an der Tür und wir fühlen uns wie von einer indischen Großfamilie umzingelt. Das ist schon netter. So sind wir froh, doch nicht die einzigen Gäste zu sein.

Die Höhlen von Ajanta

Die Höhlen von Ajanta sind älter als die von Ellora, ausschließlich buddhistisch und zudem reichhaltig bemalt. Sie stammen aus der Zeit von 200 vor Christus bis 600 nach Christus. Außer für uns Radfahrer geht es 4 Kilometer vor den Höhlen nur noch mit erstaunlich neuen Shuttle-Bussen weiter. Zwar sieht die Abfahrtstelle zu den Höhlen aus wie eine merkwürdige Industrieanlage mit Shopping-Center, doch bewahrt diese Absperrung das Gebiet der Caves vor Autoverkehr und Verschmutzung. Das genießen wir. So fahren wir eine ausgesprochen erholsame und schöne Strecke, hügelig auf und ab zur Schlucht an einem Fluss in dessen hufeisenförmige Felsenwände die 29 Höhlen von Ajanta eingeschlagen sind.

Indische Touristen an den Höhen von Ajanta

Die Höhlen sind – ebenso wie die Ellora Caves – von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt. Ganz betriebsam geht es hier zu. Viele indische und buddhistische Touristen (mit buddhistischen Outfit, aber Rucksack und Strohhut), viele Restaurateure bei der Arbeit. Es gibt sogar Mülltonnen und es wird darum gebeten, nicht zu spucken. In Ajanta sind offensichtlich häufiger Touristen, so dass wir relativ ruhig und unangestarrt durch die Höhlen wandeln können. Das ist ausgesprochen erholsam und die Skulpturen und Zeichnungen sind beeindruckend. Oft sind als Skulpturen Paare zu sehen, die äußerst harmonisch ausschauen. Und natürlich viele Buddhas. Meist sitzend, manchmal stehend oder liegend, sowie Geschichten aus seinem Leben.

Japaner in Ajanta
Die Trockenheit der Gegend bewirkt bemerkenswerte Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht. Morgens ist es richtig frisch. Uns spricht jemand auf Deutsch an. Ein arbeitsloser Fremdenführer hat sich verschiedenste Sprachkenntnisse im Selbststudium angeeignet. Erstaunlich. Und jetzt kann er das Geld nicht bezahlen, um eine Konzession zu bekommen. Er klagt über die Preiserhöhungen an den Ajanta Caves. Japanische Sponsoren pumpen Geld in die Caves und haben dafür im Gegenzug die Preise radikal erhöht. Für Inder verdoppelt auf 10 Rupien und Ausländer zahlen seit diesem Jahr statt 5 sogar 250 Rupien. Das schrecke viele Touristen ab. Sie seien dann auch nicht mehr bereit, für einen Führer Geld auszugeben.

Die Strecke nach Bushawal ist äußerst nett. Aus der Ferne sah die Ebene eher langweilig aus. Unterwegs wechselte aber nicht nur die Vegetation immer wieder, auch gab es kleine Hügeletappen mit sehr weiten Ausblicken. Und andere Abwechslungen, z. B. die Stopps in den kleinen Dörfern. In kürzester Zeit stehen 20 bis 30 Leute um uns herum und winken zum Abschied, als wären wir gute Freunde.

Kaum in Bushawal angekommen werden wir von Teenies umringt und angesprochen und von einem Radfahrer zu den möglichen Lodges begleitet. Alle sind äußerst hilfsbereit. Der Ort ist typisch indisch mit geschäftigem Treiben in den Gassen. Der Fluss sieht mal wieder grauenhaft aus. Übelste Müllkippe mit Schweinen. Auffällig sind die vielen alten Häuser, leider schon sehr baufällig. Wir fühlen uns hier recht wohl, sind inzwischen eben schon einiges gewohnt. Im Fahrradladen lässt sich der Verkäufer nicht davon abbringen, uns etwas zu schenken, das wir gar nicht wollen. Wir hatten nach einem Flaschenhalter gefragt und haben jetzt eine Rahmentasche mit Klettverschlüssen und Plastikflasche. „Bitte nehmt es als Geschenk, und wenn es euch nicht gefällt, werft es einfach weg“.

Fahrradetappe Bhusawal – Burhanpur, 66 Kilometer. Die Strecke ist eher langweilig und es ist ganz schön heiß. Nett ist das Treffen mit D. Er zeigt uns stolz sein über 400 Jahre altes Haus und lädt uns zu einem Tee ein. Und tatsächlich sieht das Gebäude mit einem sehr gemütlichen schattigen Hinterhof richtig alt aus. In den Gebäuden ist heute auch eine Schule untergebracht. D. erzählt von seinem Vater und Großvater, die als große Gemälde an der Wand hängen. Er zeigt uns die Stelle, an der sie täglich beten. Seine Familie und er sind Hindus. Seine Frau begrüßt uns nett und kocht leckeren Tee. Natürlich bleiben wir länger als die angekündigten 10 Minuten. Nach einer Stunde tauschen wir Adressen aus und D. schreibt ein paar Zeilen in unser Album amicorum.

Wir fahren mit dem Passenger Train nach Khandwa. Die 90-minütige Fahrt ist total nett. Schon bei der Abfahrt verabschieden uns Kinder begeistert. Im Zug helfen die Leute beim Gepäckverstauen und Sitzplatzfinden. Alle lachen uns an. Außer ein kleiner Junge mit riesigen Segelohren, der wohl zu beschäftigt mit Gucken ist, so dass er nicht mehr lächeln kann. Da helfen auch die Ermunterungen der Mutter nichts. Für 5 Rupien erhalten wir haufenweise Bananen und noch Erdnüsse dazu. Die alte Frau neben mir winkt ab, als ich ihr Erndnüsse anbiete und zeigt mir ihre paar restlichen Zähne. Also gut, damit kann sie wohl nicht mehr kauen. Mit ihrer großen dunklen Brille wirkt sie ein bisschen wie ein Model für die neueste Ray-Ban-Brille. Überall liegt Gepäck, außer im Gepäck-Fach. Dort schläft jemand. Obwohl wir kaum Hindi können und die anderen Fahrgäste kaum Englisch, verständigen wir uns irgendwie und sei es nur durch Lächeln. Unsere paar Brocken Hindi kommen immer sehr gut an und sei es nur, um einen Händler mit „Muze nahin chahiey“ (Ich möchte das nicht) abzuwimmeln. So verging die nette Zugfahrt wie im Flug.

Ein Schlangen-Dompteur muss lauter rufen
Jetzt sitzen wir auf dem Balkon unseres Zimmers und blicken auf das Treiben auf dem Platz unter uns. Offenbar ist ein Schlangen-Dompteur ähnlich interessant wie wir. Allerdings muss er lauter rufen, um 30 bis 40 Leute zusammenzubringen. Überhaupt gefällt uns Khandwa. Der Verkehr ist weniger schlimm als in anderen Städten und so können wir ziemlich entspannt durch die geschäftigen Gassen schlendern. Noch dazu sind wir erfolgreich beim Einkaufen. Es gibt kleine Spezialläden für Seile, für unbeschriebende handgebundene Bücher und vieles mehr. So kaufen wir ein schickes neues Tagebuch.

Im Hotel entdecke ich zwei Billardtische und frage, ob jemand mit mir spielen möchte. Sofort ist einer bereit. Claudia ist die Situation nicht ganz geheuer und ich verabschiede mich nach zwei Spielen wieder. Die Atmosphäre erschien mir sehr vertraut, allerdings ganz unindisch. Wir hätten genauso gut in Deutschland sein können. Alle waren sehr ernst und man hat uns überhaupt nicht angesprochen oder mit Fragen genervt.

Claudia: Lungees in Kerala, Dhoti in Maharashtra, Sarees überall – Kleidung in Indien

Stoffe sind in Indien sehr wichtig und die Bekleidungsgeschäfte bestehen aus einem Laden mit Stoffrollen und -bahnen. Auf dem Fußboden liegen Matratzen. Dann heißt es Schuhe aus, gemütlich in den Schneidersitz und Stoffe fühlen. Zwar variiert die Kleidung von Staat zu Staat und von Region zu Region, doch bestehen die klassischen Kleidungsstücke tatsächlich nur aus Stoffbahnen. So ist der Lungee ein Stück Stoff, dass in Kerala fast jeder Mann trägt. Es ist ca. 2 m x 1, 20 m, wird um den Bauch gewickelt und dann gern noch einmal hochgeklappt, so dass er entweder über dem Knie oder über dem Knöchel, wenn lang getragen, endet.
Dhoti und Kurma tragen die Männer in Maharashtra. Der Dhoti ist eine Hose und besteht aus einer 6 m langen Stoffbahn, die – wie auch immer – zu einer Hose um die Beine gewickelt wird. Dazu gehört ein Kurma, ein langes weißes Hemd und auf dem Kopf trägt man ein weißes „Schiffchen“.
Und die Frauen? Die tragen meistens Sarees. Ein Saree ist eine 5, 5 m lange Stoffbahn. Meistens werden 6,5 m gekauft, so dass aus einem Meter noch eine Bluse genäht werden kann. Ein Saree wird so geschickt gewickelt, dass er ein hübsches Kleid mit Schal ergibt. Dazu leuchten die Sarees in den buntesten Farben und schönsten Mustern. Als Alternative zum Saree gibt es eine Kombination aus weiter Pluderhose, langem Kleid und unvermeidlich: einem Schal.

Rotz und Dreck und Heiterkeit
Uwe: Der Morgen beginnt wie viele Morgen hier in Indien. Wir werden wach und hören irgendjemanden rumrotzen was der Rachen hergibt. Man kann es ihm nicht übel nehmen, das ganze Land scheint eine Zumutung für Schleimhäute, Geruchssensoren und Ohrmuscheln zu sein. Es ist äußerst schwierig, saubere Luft zu bekommen. Also muss man den Dreck, den man ständig einatmet, wieder los werden. Durch Rotzen zum Beispiel. Wir haben auch schon angefangen.

Indien ist oberflächlich betrachtet krass schmutzig, eklig und zum Rotzen. Dahinter muss man aber auch die Seele der Inder sehen und die ist total liebenswert. Eine solche Herzlichkeit und Freundlichkeit findet man selbst in Italien kaum. Indien ist soo anders als Deutschland. Wenn jemand in Deutschland freundlich ist, ist er meist auch höflich. Die Inder sind in der Regel überaus freundlich, aber dabei total unhöflich und oft sehr egoistisch. Am deutlichsten wird das im Straßenverkehr, nach dem Motto „Ich hupe, also bin ich“. Und wo ich bin, ist kein Platz für einen Zweiten. Vor allem nicht dort, wo ich hin will. Und sie sind absolut neugierig und haben keine Hemmungen, diese zu zeigen. Zum Beispiel indem sie „Hau-den-Lukas“artig auf unseren Sattel hauen, um die Federung zu testen.

Claudia, Bahnhof Khandwa
Erwachsene Kinder
Zwei große dunkle Augen schauen mich an. Ganz ernst. Ganz erwachsen. Ich lächele. Da lächeln sie zurück und verwandeln das Gesicht in ein Kindergesicht. Es ist ein ca. vierjähriges Mädchen, das schon so erwachsen gucken kann. Wir sehen so viele Kinder, die schon so erwachsen sein müssen, die Tische abräumen, Essen kochen oder schwere Dinge auf den kleinen Köpfen transportieren. Mit Händen und Füßen unterhalten wir uns mit dem Mädchen und der Mutter, tauschen unsere Namen aus. Sie haben Interesse an unserer leeren Colaflasche. Das Mädchen stapft damit los, um Wasser abzufüllen. Sie ist viel zu klein, um an den Hahn zu gelangen. Aus der Ferne sehen wir, wie sie es irgendwie schafft, hochzuklettern und die Flasche zu füllen. Dann schleppt sie die schwere 1,5-Liter-Flasche wieder zurück zu ihrer Mutter und uns. Schon ein bisschen stolz, aber viel zu erwachsen.

Es heißt, man liebt Indien, oder man hasst es. Für mich gilt das nicht. Indien ist viel mehr. In der indischen Kultur ist es wichtig, Rasa zu schaffen, „Geschmack“ oder „Aroma“. Rasa durch acht Gefühlszustände: Liebe, Lachen, Sorge, Zorn, Hochstimmung, Furcht, Abscheu und Erstaunen. Das alles ist Indien.

Uwe, Khandwa – Ajmer
Wir machen einen Sprung mit dem Zug in den Norden. Im Gegensatz zu vielen Indern reisen wir nicht auf dem Dach, sondern im Schlafwagen. Morgen früh werden wir mitten in Rajasthan sein. Ich bin gespannt. Es ist mal wieder toll, weiter zu reisen. Immer wieder entdecken wir neue Dinge, und sei es nur, dass die Bäume am Straßenrand andere sind, die Auto-Rikshas in Burhanpur mit ihren hochgezogenen schlanken Motorhauben über dem Vorderrad so sehr nach Oldtimer aussehen oder in Khandwa auffällig wenig Frauen auf den Straßen sind.

Mothertrees in Indien

Die großen „Mothertrees“ jedenfalls werde ich vermissen. Mit ihrem gigantischen Blätterdach überspannen sie locker die Straße und spenden reichlich Schatten. Vielleicht werde ich sie mal als typisch indisch in Erinnerung behalten. Der riesige Stamm besteht aus unzähligen kleinen Stämmen, die miteinander verwachsen sind. So wie das dicht bevölkerte Indien, wo jeder sich hupend seinen Weg bahnt, aber doch miteinander zurecht kommt. Weiter oben vereinen sich die Stammstränge zu wenigen dicken Ästen, als wenn der Baum merkte, dass er mit dem Einzelgängertum nicht so recht weiterkäme. Denn wenn es sein muss, dann sind die Inder unglaublich hilfsbereit. Zu den herunterhängenden Luftwurzeln fällt mir nichts ein…oder doch?… Die könnten vielleicht für das Chaos stehen, dass offenbar in ganz Indien herrscht, ein sehr lebendiges Chaos. Denn so wirken die Bäume auf mich. Ein lebendiges Chaos aus knorrigem Stamm, großen Ästen mit riesiger Baumkrone und quirligen Luftwurzeln, unter dem man sich sehr wohl fühlen kann.