Rajasthan


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Uwe: Noch im Dunkeln stehen wir im Schlafwagen auf und holen uns an einem Bahnhof den ersten fürchterlich süßen Tee. Es wird langsam hell, die Landschaft ist flach, mit einzelnen Hügeln, wie wir sie schon kennen. Sieht Rajasthan doch wie Maharashtra aus? Nein, die Vegetation ist viel trockener, steppenartig. Langsam erscheint am Horizont eine Bergkette. Um 8.30 Uhr steigen wir am Fuss der Berge aus.

Maedchen in Ajmer.

Wir radeln ins Zentrum und befinden uns mittem im Gedränge der engen Bazar-Gassen. So gleicht Ajmer bisherigen Städten. Aber die Architektur ist anders. Viel orientalischer. Mit zwiebelförmigen Bögen und zahlreichen Verzierungen. Wir frühstücken große Hefefladen während mal wieder unsere Fahrräder inspiziert werden. Ein Mädchen lacht uns unentwegt an und macht unser Kauen nach. Claudia kauft ihm auch so einen Fladen.

Wir fahren nach Pushkar. Die 14 Kilometer führen über einen kleinen Gebirgspass, die Snake Mountains, und bieten uns einen ersten Ausblick über die Landschaft. Hier gibt es nur zwei Formen, entweder Ebene oder steile Berge. Die Berge sehen aus wie Dinosaurierrücken.

Pushkar ist viel kleiner als Ajmer und wirklich ein hübsches Örtchen. Überall stehen Paläste und Tempel im orientalischen Stil. Im Zentrum liegt ein kleiner See, der von Ghats (weite Stufen bis zum Wasser) und Palästen umsäumt ist. Und man sieht sehr viele Touristen, auch indische. Denn Pushkar ist ein Pilgerziel. Für Hindus ist der See heilig und viele Inder baden darin oder waschen sich. Angeblich wurde auch die Asche von Mahatma Ghandi in diesen See gestreut.

Unser Unterkunft, das Lake View Hotel, liegt direkt am See und bietet wunderbare Ausblicke auch auf die Stadt und die bergige Umgebung.

Immer wieder rollt ein Donner durch die naheliegenden Hügel. Aber am Himmel ist keine Wolke zu sehen. Des Rätsels Lösung: Diwali steht bevor, ein großes Fest in ganz Indien, das unter anderem mit Böllern gefeiert wird. Offenbar können einige es nicht mehr abwarten und knallen schon jetzt. Die Heftigkeit der Explosionen ist enorm. Vielleicht sollten wir uns rechtzeitig in Sicherheit bringen?

Es ist in Pushkar so gemütlich, dass wir ein bis zwei Tage bleiben wollen. Wir schlendern ein bisschen herum und machen kleine Ausflüge in die nahe Umgebung. Am Abend gehen wir zu dem Savitri-Tempel, der auf einem kleinen, aber steilen Hügel liegt. Von dort haben wir einen herrlichen Blick über Pushkar, einen weiten Blick über die Umgebung und können das Gelände erkennen, wo alljährlich der größte Kamelmarkt der Welt stattfindet. Leider ist der Markt erst in drei Wochen und passt deshalb nicht in unsere Reiseplanung. So begnügen wir uns damit, am nächsten Tag über das Gelände zu streunen. Dazu müssen wir kilometerlang über eine schlechte Straße fahren, teils nur durch Sand. So viel feiner Sand, da glauben wir fast, bald an die Nordsee oder Atlantikküste zu gelangen. Doch kein Meer ist in Sicht.

Wir erreichen die Zeltstadt, die extra für die Zeit des Marktes für wohlhabende Touristen aufgebaut wird. Hunderte von Zelten stehen in der Halbwüste, alle mit fliessend kaltem und heissem Wasser, Dusche und Sitzklo. Die Zelte kosten 5.000 Rupien pro Nacht. Zum Vergleich zahlen wir für unsere Unterkunft 150 Rupien. Wir werden von einem freundlichen Inder angesprochen. Uns wird ein Zelt fuer 2.000 bis 3.000 Rupien angeboten. Mal wieder ein Zeichen, dass in diesem Jahr die ausländischen Touristen ausbleiben? Schon mehrmals haben Gastwirte darüber geklagt.

Uwes erster Malaria-Test.
Claudia: 31. Oktober 2002. Es ist sechs Uhr. Die Pilger lärmen ordentlich am See. Heute wollen wir eigentlich weiter. Doch Uwe wacht mit Fieber auf. Bereits bei unserer Ankunft in Pushkar hat er sich nicht wohlgefühlt. Fieber! Bei jedem Fieber muss binnen 24 Stunden zunächst Malaria ausgeschlossen werden, warnen eindringlich unsere Gesundheitsblätter vom Tropeninstitut. Also auf zum Government Hospital. Hier bloss nicht stationär behandelt werden, ist der erste Eindruck. Ansonsten gleicht das Verfahren dem Kauf eines Zugtickets. Es werden Zettel ausgefüllt, wieder sind Name und Alter ganz wichtig, und wir werden weitergeschickt. Auch der Doktor ist ähnlich auskunftsfreudig wie eine Bahnbeamtin, schreibt „Blood Test MP“ auf den Zettel und schickt uns weiter. Hinter uns winken bereits die nächsten Patienten mit ihren Zetteln. Fliessbandarbeit. Begeleitet von einem Mann gehen wir mit einer riesigen – aber immerhin steril verpackten – Spritze und einem milchigen Serum in ein weiteres Zimmer. „Wir machen doch hier nur einen Bluttest?“ frage ich, aus Angst, dass Uwe gleich dieses Zeug reingejagt bekommt. „Jaja“ sagt ein Mann, dem unheimlich viele Haare aus den Ohren wachsen. „Ich mache das hier schon seit 40 Jahren“ erklärt er. Uwe könne stehen bleiben. Hat der eine Ahnung, wie schnell es Uwe beim Anblick von Spritzen und Nadeln umhaut. Und die liegen reichlich im Raum verstreut. Eine „Entsorgungs-Kiste“ auf dem Boden wird wohl nicht immer getroffen. Wir beharren darauf, dass Uwe sich zumindest setzen darf. Okay. Da kommt er mit einer winzigen Kanüle und piekst Uwe damit in den Finger. Dann wird ein bisschen Blut auf einen Glasträger gedrückt. Das wars. Die riesige Spritze ist wohl für den nächsten Patienten.

Zwei Stunden später gehe ich wieder zum Krankenhaus, um die Diagnose zu erfragen. Der Mann mit den haarigen Ohren führt mich zu einer Frau, die haufenweise Glasträger sortiert. Ich warte eine Zeitlang. Dann kommt sie zu mir. Wieder wird Uwes Name und Alter aufgeschrieben. Dann das Ergebnis. Negativ. Puh! Ich bin erleichtert und gehe zum Hotel zurück. Uwe fühlt sich sehr schwach und liegt den ganzen Tag im Schlafsack eingemuemmelt im Bett. Am nächsten Morgen ist das Fieber bereits wieder gesunken. Trotzdem gönnen wir uns noch einen Tag Erholung, bevor wir in die Halbwüste Shekhawati radeln. Die Behandlung im Government Hospital war kostenfrei und auch eine Spende konnte ich nicht loswerden.

Lecker Maden
Uwe: Nach einem Erholungstag geht es weiter nach Parvatsar. Endlich eine kleine Straße. Nur schade, dass es eine Holperpiste ist. So klein die Straße ist, so klein sind die Dörfer, durch die wir kommen. Die alten Männer tragen leuchtende Turbane und die Frauen sind genauso bunt gekleidet wie die touristenjagenden Kolleginnen in Puskar.

Drei Frauen und ein paar Kinder bleiben stehen. Sie schenken uns zwei handvoll roter Beeren. Wir essen eine, um höflich zu bleiben, den Rest verpacken wir in eine Plastiktüte. Dabei fallen uns sich windende Maden auf. Lecker. Wir verschenken Chikki (lecker caramelisierte Erdnüsse aus Matheran), das eine Frau streng verteilt.

Dhal und Gobi
Claudia: Fernsehabend in Parvatsar. Wir zappen uns durch die Programme und gelangen zu einer Miss Teenie Wahl. Die indischen Mädchen bekommen Fragen gestellt. So wird ihnen z. B. ein Film gezeigt, in dem eine Mutter im indischen Saree mit ihrer Tochter im Fussballtrikot schimpft, sie solle nicht immer nur Fussball spielen, sondern lernen, wie man Dhal (Linsenbrei) und Gobi (Blumenkohl) kocht. Die Frage an die Mädchen lautet: Wie wichtig ist es, dass eine Frau Dhal und Gobi kochen kann?!!!
Und das waren einige Antworten: „Es ist sehr wichtig, dass eine Frau Dhal und Gobi kochen kann. Wir nehmen zwar gern westliche Kultur an, aber es ist auch wichtig, die indische Kultur zu erhalten.“ Oder „Wenn meine Mutter das von mir verlangt, tue ich es natürlich. Ich tue schliesslich alles, damit es meiner Mutter gut geht.“ Und immerhin sagt eine: „Man soll machen, was man gut kann und wenn es Fussball spielen ist.“

Marmor oder Tempel?
Wir radeln Richtung Kuchaman. Bis Makrana ist die Strecke ruhig. „Makrana heisst Marmor. Ein Händler neben dem anderen. Überall Marmorplatten. Der Marmor aus Makrana ist sehr fein und weiß. Das liegt daran, dass er zu 95 Prozent aus Calciumcarbonat besteht und aus der Tiefe kommt. Aus dem Marmor aus Makrana ist das Taj Mahal gebaut und auch das Weiße Haus in Washington.“ klärt uns ein Mopedfahrer nebst Kumpel auf. Wir haben uns für eine Pause weit in ein Feld zurückgezogen. Das ist schon das zweite Moped-Duo, das den Weg ins Feld nicht scheut, um ein paar Worte mit uns zu wechseln. Es sind zwei Leute von „out of India“ da, hat sich in Parvatsar herumgesprochen.

Wir fahren mitten durch das Marmor-Abbaugebiet. Vor den Gruben stehen Steinhäuser, in denen sich die Familien angesiedelt haben, die hier arbeiten. Überall sind altertümlich anmutende Kräne zu sehen, die große Blöcke an die Oberfläche ziehen. Sind die Blöcke mal oben, dann hocken zahlreiche Menschen drauf und hauen auf ihn ein. Wir gehen ein paar Schitte zu einer der vielen Gruben. Ganz schön tief. Ein völlig zugestaubtes kleines Mädchen kommt uns entgegen, sieht nicht besonders glücklich aus. Zwei händchenhaltende junge Münner (das ist sehr üblich in Indien) unterbrechen ihre Arbeit und winken und lachen.
Auf einem kleinen Hügel zwischen den Gruben steht ein Tempel. Fast ein Wunder, dass er noch steht. Um ihn herum wird fleissig abgebaut. Das ist ein merkwürdiges Bild.

Nachdem wir das Abbaugebiet durchquert haben, folgen wieder zahlreiche Händler. Wir verlassen Makrana. Es wird wieder ruhiger. Die Straße wechselt, ist superschlecht, frischgeteert oder zugesandet. Ab und an kommt ein Kamel oder ein Esel mit Karren vorbei. Jeeps befördern unglaubliche Mengen an Fahrgästen und auch die Busse sind vor allem auf dem Dach mit Passagieren mehr als ausgelastet.

Hunger
Uwe: Wir schlendern in Kuchaman herum. Auch hier ist es nicht so leicht, was zu essen zu bekommen. Wir versuchen in unserem Hotel eine Auskunft zu bekommen, aber ohne Hindi-Kenntnisse klappt die Verständigung einfach nicht. Da stolpere ich über den Hindi-Satz: „Ich habe Hunger.“ Unser Gegenüber verfällt in schallendes Gelächter und gibt uns höchst amüsiert zu verstehen, dass im gleichen Haus ein Restaurant ist. Das Essen ist ok und die Leute sehr freundlich. Wir sind zufrieden. Morgen ist Diwali. Kuchaman ist schon fleissig am Vorbereiten. Viele Häuser hängen voll mit Lichterketten.

Happy Diwali
Claudia: Diwali ist ein grosses Lichterfest in ganz Indien. Schon Tage vorher sehen wir die Vorbereitungen. Die Häuser werden neu gekalkt und geputzt, überall gibt es Blumengirlanden- und Tonschälchen-Verkäufer. Die Häuser werden mit Lichterketten umhängt – fast wie Weihnachten im Ruhrgebiet. Ziemlich bunt. Und jede Menge Feuerwerk kracht und knallt.

Und wozu das Ganze? Also das war wohl so: Rama, die 7. Reinkarnation von Vischnu (Gott der Hindus, insgesamt gibt es 10 Reinkarnationen, Rama ist die Heldenhafteste) wird von der dritten Frau seines Vaters in den Wald verbannt. Er nahm seine Frau Sita und seinen Bruder mit. Es gab einige Abenteuer zu bestehen mit Liebe und Entführungen. Schliesslich sind alle drei wieder vereint und wollen heim. Sitas Treue wird angezweifelt. Da weist Sita Ramas Bruder an, ein Feuer zu entfachen, um ihre Treue zu beweisen. Mit Hilfe der Feuergöttin Agni geht sie durch das Feuer zum erleuchteten Rama. Da die Bewohner ihrer Heimatstadt alle kleine Lichter aufgestellt haben, finden sie sicher nach Hause. Ramas jüngerer Bruder springt erleichtert vom Thron und Rama wird gekrönt.

Ja und deshalb werden heute jählich an einem bestimmten Tag im hinduistischen Kalender (15. Kartika, in 2002: 4. November) überall Öllämpchen aufgestellt und sicherheitshalber noch Raketen entzündet. Wo immer Rama und Sita sind, werden sie zurück nach Indien finden. Zur Feier des Tages trägt man neue Klamotten und isst oder verschenkt unglaublich süsse Süssigkeiten.

Wir feiern Diwali mit der Polizei
Uwe: Jetzt sitzen wir in Sikar in unserer Lodge und kriegen immer mehr das Gefühl, dass wir uns Diwali „da draussen“ anschauen sollten. Die vielen Böller laden dazu ein. Gegen 20 Uhr gehen wir auf die Straße und schauen uns um. Alle Geschäfte haben geöffnet und sind geschmückt. Viele haben breite Bänder aufgehängt und ohne Ende Lichterketten und öllichter in kleinen Tonschälchen. Es sind viele Menschen unterwegs und bald gehen die ersten Jungs hinter uns her. Einer fährt uns mit seinem Moped fast über die Füße. Plötzlich ist die Straße für Motorfahrzeuge gesperrt. Wir freuen uns. Endlich können wir gehen, ohne permanent auf den Verkehr zu achten. Uns schließen sich immer mehr Jungs an. Wir wollen irgendwo rein, finden aber nichts, nur Haushaltswarengeschäfte, kein Restaurant. Vor einem Radiogeschäft stehen auch einige Leute und schauen fern. Wir bleiben stehen, in der Hoffnung, dass es der Meute langweilig wird. Da entsteht ein komisches Bild. Vor uns stehen zahlreiche junge Leute, die eine Hälfte mit dem Rücken zu uns, schaut fern, die andere Hälfte gafft uns an. Uns wird die Situation zunehmend unangenehm und wir gehen weiter. Inzwischen folgen uns schätzungsweise 200 Jungs. Sie werden immer aufdringlicher, schupsen und rempeln sich gegenseitig und uns an. Wir werden immer nervöser.

Da taucht eine Polizeistreife auf und vertreibt die Jungs ein bisschen. Danke. Wir haben genug und wollen nur noch in unser Hotel zurück. Kaum dass wir ein paar Schritte gegangen sind, ist die Meute wieder da. So kommen wir unmöglich weiter. Wir drehen um, gehen zurück zur Polizei. Die versteht sofort, macht die Tüer auf, lässt uns einsteigen und fährt sofort los. Die Polizisten setzen uns vor dem Hotel ab und geben uns zu verstehen, dass wir dort bleiben sollen. Im Hotel werden wir mit den Worten „Hier seid ihr sicher“ empfangen. Auf der leeren Dachterasse wird improvisiert. Ein Lüftungsschacht wird zum Tisch. Wir bekommen süssen Reis und Dhal. Was für ein Fest. Jedenfalls können wir hier oben in Ruhe sitzen und ein bisschen Feuerwerk beobachten. Wie steht es im Reiseführer: „Meiden Sie Menschenansammlungen.“ Und wie vermeidet man die Entstehung?

Claudia: Unser Hotel sieht aus wie ein ehemaliges Gefängnis. Viele Zimmer sind ohne Fenster nach aussen, nur Richtung Flur, zwischen den Etagen sind keine Böden sondern Gitter, so dass man von oben bis unten herunter- bzw. heraufschauen kann. Schon angemessen, von der Polizei hier abgesetzt zu werden.

Shekawati: Halbwüste und bemalte Villen
Dienstag, 5. November 2002. Wir verlassen das Kakerlaken-Gefägnis – gemeinerweise hatte sich eine in der Klopapierrolle versteckt, und ich greife hinein, igitt – und fahren nach Nawalgarh.

Nawalgarh liegt mitten in der Halbwüste Shekawati. Durch dieses Gebiet führte früher eine wichtige Handelsroute von der Küste Goas nach China. Die reichen Händler haben sich hier niedergelassen und einige schicke Villen (Havelis) gebaut. Schön ist die Architektur mit vielen kleinen Boegen und Innenhoefen. Zudem sind die Häuser von oben bis unten und überall in unterschiedlichen Qualitäten bemalt. Offenbar hatten die Hausbewohner viel Zeit und haben Volkshochschulkurse „Wie bemale ich mein Haus“ belegt. Einige Malereien wirken etwas naiv. Zu sehen sind auch neue Erfindungen der damaligen Zeit, wie Züge, Fahrräder, Telefone. Die meisten Havelis sind recht verfallen. Zum Teil sind die Zeichnungen einfach überpinselt, z. B. um ein Geschäft zu markieren.

Unsere Lodge (Ramesh Jangid Tourist Pension) ist wunderbar. Wir fühlen uns gleich wohl. Sie gehört einer Brahmanen-Familie. Im Hof sitzt die Großmutter an der Nähmaschine und näht für die Enkelkinder, die drumherum mit den Stoffresten spielen. Alles wirkt sehr familiär. Fast wie ein britisches Bed & Breakfast. Vor den Zimmern gibt es einen großen Raum mit Sitzgelegenheiten und Zeitschriften. Wir lesen „Pros und Cons of a Working Mother-in-Law“. Emanzipation in Indien? Immerhin wird schon mal drüber diskutiert. Am Abend essen wir unser erstes Öko-Essen in Indien, denn der Familie gehört auch eine Öko-Farm. So gibt es leckeres Gemüse aus dem eigenen Garten und auch sonst nur beste Zutaten.

Rajasthan ist voll von Kamelen.

Uwe: Nawalgarh, 6. November 2002. Wir machen einen Tagesausflug zum 20 km entfernten Parasrampura. Die Strecke führt durch dühnenartige, hügelige Halbwüstenlandschaft auf kleinen, angenehmen Straßen. Kurz vor Parasrampura wirkt es richtig wüst. Trotzdem sind auch hier Menschen unterwegs. Wir wollen Bilder von unseren Fahrrädern in der Wüste machen und schwupps, da ist auch schon wieder ein Junge und stellt sich kerzengerade ins Bild.

In Parasrampura führt uns ein alter Mann zum Gopinath-Tempel. Die Tempelanlage ist klein und wird offenbar hauptsächlich von Pfauen genutzt. Wir steigen durch einen kleinen Zaun. Nur ein paar Schritte, da steht er auch schon, eine kleine runde Fläche von 5 bis 6 Metern Durchmesser, erhöht, so dass man über ein paar Stufen hochsteigen muss. Diese Fläche wird von einer Kuppel überspannt, die auf dünnen Säulen ruht. Und die Innenseite ist das Beeindruckende an dem Tempel. Sie ist voll mit Malereien aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und zeigt Geschichten über Götter und die damaligen Herrscher. Der alte Mann zeigt mit einem pfauenfederbestückten Stock auf die verschiedenen Szenen und erklärt dazu etwas, was wir aber kaum verstehen. Trotzdem hat sich der Weg dorthin gelohnt.

Zurück in unserer Lodge sind inzwischen weitere Gäste eingetroffen. Ein schweizer Paar, das 5 Monate in einem Projekt zur Eingliederung von Tibet-Flüchtlingen gearbeitet hat. 5 Monate gab es immer das gleiche Essen: Dhal und Gemüse und das Gemüse waren meistens Kartoffeln. Es ist nett, sich einfach mal wieder in der Muttersprache zu unterhalten.

Am nächsten Tag erreichen wir am Nachmittag Shapura und finden dort auch eine Unterkunft. Es ist ein Government Guest House und kostet gerade mal 60 Rupien pro Nacht. Dafür ist es aber auch äusserst einfach und der Strom funktioniert erst, nachdem allerlei hilfbereite Menschen zusammengekommen sind, lange grübeln und diskutieren. Wir werden derweil auf Plastikstühle gesetzt und mit Peanuts versorgt. Die Leute sind sehr nett und unser anfänglich ungutes Gefühl verfliegt schnell. Zwei Arbeiter schlafen nebenan auf dem Tisch und ein Vorarbeiter (oder sowas) einen Raum weiter. Wir sind also nicht allein.

Kaputte Kameras
Uwe: Mit unseren Kameras haben wir bisher wirklich Pech. Die kleine Minox ist mit Claudia im Monsum abgesoffen und seither nur noch als Wasserwaage zu gebrauchen. Von der neuen Digitalkamera funktioniert das Übertragungskabel nur in absoluten Ausnahmefällen. Ein nerviger Wackelkontakt lässt uns verzweifeln. Und jetzt zeigt auch noch der Belichtungsmesser unserer Spiegelreflex selbst im dunkelsten Zimmer an, es sei zu hell, um ein Foto zu machen. Jaipur soll die Einkaufsstadt in Rajasthan sein. Hier muss eine Lösung gefunden werden. Denn Indien bietet so schöne Motive, da ist es ein Jammer, ohne funktionsfähige Kamera unterwegs zu sein.

Shapura liegt nur 60 km von Jaipur entfernt. Wir fahren mit dem Bus in die Stadt. Man weist uns Plätze direkt neben dem Fahrer zu. Claudia sitzt direkt hinter der Windschutzscheibe. Da bekommt sie hautnah mit, was uns der Busfahrer so zumutet. Statt hupen scheint er Extrem-Auffahren zu bevorzugen. Zwischen den Trucks und Bussen ist beim Überholen nur eine Handbreit Platz, Moped- und Fahrradfahrer fliehen zur Seite. Die Strasse führt durch Berge, die kurz vor Jaipur regelrecht mit Festungen und Mauern übersät sind. In einer Senke ist ein See mit Palästen drin und drumherum. Aber je näher wir dem Ort kommen, desto mehr verfliegt der Eindruck orientalischer Sehenswürdigkeiten. Wir passieren Slums, völlig verdreckte Wohngebiete am Rand eines Steinbruchs und Menschen, die offenbar mit der ganzen Familie am Straßenrand hausen.

© A.Savin, FreeArtLicense WikiCommons

Jaipur ist bekannt als „pink city“, viele Häuser sind rosarot gestrichen. Zwischen den großen Bazaar-Straßen gibt es zahlreiche Gassen. Dort finden wir ein bisschen Ruhe, aber auch Schmutz und Gestank. Zwischen den Gebäuden befinden sich häufig enge Zwischenräume, die offenbar als Mülldeponie genutzt werden. Mit der Zeit diffundiert der Müll und vor allem das Abwasser Richtung Straße und landet dort in einem übelst riechenden Abflusskanälchen. An einem kleinen Platz mit einem großen Baum können wir in Ruhe einen Kaffee trinken.

Bald stehen wir vor dem berühmten Palast der Winde, dem Hawa Mahal. So direkt an der Hauptstraße und mit ständig einem Händler im Ohr mag er uns nicht so recht beeindrucken. Zumal es sich ohnehin nur um eine schmucke Fassade handelt, die jedoch hübsche kleine Kämmerchen beherbergt, aus denen die Frauen aus dem naheliegenden Palast ungestört und ungesehen Prozessionen betrachten konnten.

Wir stolpern über ein Schild „Camera-Repair“. In einem Hinterhof führt eine steile Treppe zu einem ca. 2 qm grossem Zimmerchen. Regale sind voll mit Kameras, ein Mann sitzt hinter einem Schreibtisch und ein paar Hocker für Kundschaft sind auch noch da. Wir vertrauen ihm unsere Kamera an. Am Abend hören wir, dass die Reparatur umfangreicher sei. Er braucht bis morgen. Na prima, dann müssen wir am nächsten Tag nochmals nach Jaipur. Immerhin erhalten wir in einem Computer-Shop ein Lesegerät für unsere Digitalkamera. Genau das, was wir brauchen. Wir können es kaum glauben.

Claudia: Alle Imbiss- und Kaffeebüdchen in Jaipur scheinen keine Toilette zu haben. Selbst das Indian Coffee House hat nur ein Urinal zu bieten. Was machen denn Frauen in so einem Ding? Wir sehen ein McDonalds. Das ist tatsächlich das erste McDonalds in Indien, das wir sehen. Und auch wenn McDonalds nicht für hochwertiges Essen und gesunde Küche steht, so doch für gute Toiletten. Ein Türsteher-Wachmann begrüsst uns und hälet die Tür auf. Drinnen ist es klimatisiert und sieht aus – wer hätte es anders erwartet – wie in einem McDonalds-Restaurant. Nur dass die Menschen indisch gekleidet sind und offensichtlich zu den besser verdienenden Indern gehören. Wir lassen uns zu einem Mineralwasser, einem Milchshake und einer Pommes hinreissen und zahlen so viel wie für ein vollwertiges indisches Abendessen für zwei! Hier ist Fast Food offensichtlich ein Stück westlicher Luxus oder auch nur westliches Gefühl. Merkwürdig.

Am Abend fragen wir nach dem Bus nach Shapurah. Da lacht uns ein fröhlicher Schnauzbart an. Oh nein! Es ist der Busfahrer vom Mogen. Da fahren mehr als 50 Busse am Tag bis Delhi und wir erwischen den gleichen Mann für die Hin- und Rueckfahrt. Er freut sich, will, dass wir wieder vorne sitzen. Wir winken ab. Nur das nicht.

Die Aufgabe der Mutter
„Bist du zufrieden mit dem Ehemann, den deine Mutter für dich ausgesucht hat?“ fragt ein ca. 17jähriger Junge, seinen vielleicht 10 Jahre alten Bruder an der Hand haltend und strahlt uns an. Die beiden sind total süß, aber uns ist irgendwie gar nicht nach Konversation. Wir haben die ganze Nacht fleissig rückwaerts gegessen, mal im Wechsel, mal im Duett. Na prima. Jetzt haben wir uns vor das Government Guest House gesetzt, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Und Zack ist wieder Unterhaltung angesagt. „In Deutschland suchen sich die Partner selbst aus“ versuchen wir zu erklären. „Aha.“ Das scheint nicht so als großer Vorteil gesehen zu werden. „In den nächsten vier Jahren werde ich heiraten, es ist die Aufgabe meiner Mutter“ haben wir schon mal von einem jungen Mann im Zug gehört. Es ist für uns schon eine merkwürdige Vorstellung, das die Eltern die Partner für ihre Kinder aussuchen. Aber vielleicht verbringt die Mutter ja auch mehr Zeit mit ihrer künftigen Schwiegertochter als ihr Sohn? Warum soll da nicht sie bestimmen. Das würde auch erklären, dass selbst Frauen nicht erpicht darauf sind, Töchter zu haben. Töchter geben sie in andere Familien ab und müssen auch noch teuer Mitgift zahlen. Beim Sohn bleiben sie und können sich dazu noch eine Schwiegertochter zum Herumkommandieren aussuchen. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen böse, aber es ist doch oft augenfällig, dass die Frauen mehr arbeiten, oft zurückgezogener leben, aber weniger Anerkennung ernten als die Männer. In einer Zeitung lesen wir von Babys, die im Krankenhaus zurück geblieben sind. Es war eine aufregende Nacht für das Krankenhaus. Eine Frau, die schon zwei Töchter hat, erwartet Drillinge. Alle drei Babys sind Mädchen. Da ist die Frau geflohen. Ihre Eltern haben sich wohl kaum für die richtige Familie für ihre Tochter entschieden.

Kamera-Glück in Jaipur
Wir müssen nach Jaipur, um unsere Kamera abzuholen. Die ganze Nacht habe ich schon gegrübelt, wie wir wohl die Busfahrt überstehen. Ich kann mir nun wirklich nichts Unangenehmeres vorstellen, als mich im vollbesetzten Bus übergeben zu müssen. Sämtliche Plastiktueten, die wir mit uns führen, haben aus unerfindlichen Gründen Löcher. Aber wozu gibt es wasserdichte Packtaschen. Also nehme ich eine kleine LowRider-Tasche als „Kotztasche“ mit. Schon wieder werden wir im Bus nach vorne gewiesen und da alle Plätze besetzt sind, bleibt uns nichts anderes übrig. Doch, oh Wunder. Dieser Busfahrer fährt fantastisch. Er hält Abstand, hupt ab und zu und lässt sogar kleinere Fahrzeuge ab und an mal vor! Unglaublich. Es sind eben doch nicht alle gleich… oder hat er geahnt, warum ich diese Packtasche festgekrallt halte? Zum Glück haben wir sie nicht gebraucht. Und die erneute Fahrt nach Jaipur hat sich gelohnt. Unsere Kamera scheint wieder zu funktionieren. Und dank Curd (Joghurt) mit Bananen und Vitamintabletten-Cocktail fühlen wir uns am nächsten Tag wieder fit und sind froh, weiterradeln zu können.

Am nächsten Abend erreichen wir den kleinen Ort Deeg zum Einbruch der Dunkelheit. Im Dämmerlicht können wir noch einen Blick auf den prächtigen Palast werfen. Mehrere prächtige Gebäude stehen in einem kleinen Park. Am Rande des Hauptpalastes befindet sich ein kleiner künstlicher See mit Ghats. Die Dächer der Gebäude sind wunderbar geschwungen. Das Beste ist, dass noch große Teile der Einrichtung des letzten Maharadjas zu sehen sind, der bis in die 50er Jahre des 20. Jhd. hier lebte. Alles ist groß, die Räume, die Sofas, die Betten. Im Wohnzimmer hängen riesige Wedel, die über eine Seilkonstruktion von aussen betrieben werden.

Tägliche Fahrradrennen in Indien
Die letzten Kilometer vor Bharatpur lassen wir uns zu einem kleinen Rennen mit drei Indern hinreißen. Der Beginn ist wie fast immer, wenn wir überholen. Dann treten die indischen Radler in die Pedale bis sie wieder an uns vorbeigezogen sind, werden dann aber sofort wieder langsamer. Wir müssen aufpassen, ihnen nicht ins Rad zu fahren. Zweimal schon haben wir die Dreier-Gruppe überholt und uns wieder überholen lassen. Beim dritten Mal ziehen wir das Tempo an. Unsere Verfolger können nicht mehr überholen, bleiben aber dran. Also gut, noch schneller. Jetzt feuern sie sich gegenseitig an, haben ihren Spaß dabei. Wir auch, zumal wir auf diese Weise sehr zügig vorankommen. Nach ca. 5 Kilometern biegen sie ab und alle können sich erholen, uns eingeschlossen.

Vogelparadies ohne Vögel
Bharatpur ist berühmt für den Keoladeo National Park. Eine halbe Millionen Zugvögel treffen dort jährlich ein. Jedoch ist die Vogelwelt in diesem Jahr recht kümmerlich. Mangels Monsun blieben auch die Vögel aus. Wir geniessen es trotzdem, mit dem Fahrrad durch den Park zu fahren. Tatsächlich ist die sonst überflutete Fläche völlig ausgetrocknet. An wenigen Stellen wird Grundwasser hochgepumpt, wahrscheinlich um ein paar Tiere zu retten, die völlig vom Wasser abhängig sind. Wir freuen uns über jedes Tier das wir sehen: Tauben, Kühe, Affen…Naja, etwas Besonderes gibt es schon, zum Beispiel den Sarus Crane, den größten fliegenden Vogel der Welt.

Für uns hat er sogar ein paar Dehnungsübungen gemacht. Schlangen sehen wir keine, dafür aber frische und beeindruckend breite Spuren. Ja und zahlreiche Antilopen und Wasserschildkröten. Wir verlassen den Park zur Dämmerung. Angeblich soll es auch einen Tiger im Park geben. Verstreute Skelette von großen Tieren haben uns nicht gerade in Sicherheit gewogen.