Marisol ist eine der guten Seelen in Ayacucho. Jeden Tag kümmert sie sich um die Kinder, die zusammen mit ihren Müttern im Gefängnis leben.
„Liebe dich selbst, dann kannst du alle lieben.“
Wo bist Du geboren? Was gefällt Dir an dem Ort/Land?
Ich bin in Ayacucho geboren. Das ist eine Stadt in den Anden. Ich liebe Ayacucho, die umgebende Natur, die Landschaft, die Berge. In der Nähe gibt es schöne Flüsse.
Wo lebst Du heute und was gefällt Dir an der Stadt und Gegend?
Heute lebe ich wieder in Ayacucho. Wir sind 1989 während der Zeit des Terrorismus des Leuchtenden Pfades nach Lima gezogen. Es war eine schreckliche Zeit in Ayacucho. Niemand wagte zu sagen, was er denkt, weil das Militär oder der Terrorist vielleicht nicht einverstanden sind. Und beide Seiten handelten sehr gewalttätig. Es war sehr beängstigend. Es hatte eine Menge Bombenanschläge gegeben. Ich war damals noch ein Kind und stand einmal sehr nahe an einer explodierenden Bombe. Ich sah Teile eines Körpers. Am nächsten Tag hörten wir, dass ein kleines Kind gestorben war. Es hätte eine Bombe in ein Gebäude bringen sollen, aber es war zu schüchtern. Also explodierte die Bombe in seinen Händen. Das war zu viel und der Grund für die Entscheidung meiner Familie, Ayacucho zu verlassen und nach Lima zu ziehen.
Ich habe in Lima Betriebswirtschaft studiert, aber es gefiel mir nicht so sehr. Mir gefiel es mehr, 3,5 Jahre lang Englisch zu studieren und wurde Englischlehrerin. 1996 kehrte ich nur für die Ferien nach Ayacucho zurück. Ich war sehr traurig, weil ich hier nicht mehr fand, was ich zurückgelassen hatte. Viele meiner alten Freunde hatten Ayacucho ebenfalls verlassen. Ich war eine Art Fremder in meiner eigenen Heimatstadt.
Aber dann besuchte ich einen Kongress für Englischlehrer, und auf diesem Kongress wurde ich gefragt, ob ich Lehrerin in Ayacucho werden wolle. Zwischen 1996 und 1998 zog ich viel zwischen Ayacucho und Lima hin und her. Ich wollte immer reisen, tat es aber nie, weil ich so beschäftigt war. Jetzt lebe ich wieder in Ayacucho mit meinem Partner Ricardo und unserem Sohn Sebastian.
Ich mag Ayacucho, aber ich habe auch gerne in Lima gelebt. Dort gibt es viele Einrichtungen, aber es ist mehr los.
Wir wissen nicht wirklich, wo wir hingehören und wo wir wirklich leben wollen. In Ayacucho sind die Möglichkeiten begrenzt. Die Leute schätzen z.B. die Arbeit von Ricardo nicht sehr. Er ist Schreiner und macht wunderbare Dinge für zu Hause. Es wäre einfacher, seine Arbeit in den Städten zu verkaufen. Und das Bildungssystem in Ayacucho ist nicht sehr gut. Die Lehrer sind nicht sehr motiviert, und sie akzeptieren nicht, dass Kinder ihren eigenen Geist oder ihre eigene Art zu lernen haben. Aber jedes Kind hat das. Vielleicht gehen wir in die Staaten, nach New York. Familie Ricardos lebt dort. Ich möchte studieren, Sozialarbeiterin werden und dann in mein Land zurückkehren und dort helfen können.
Mir gefällt Peru, vor allem die Umwelt. Es gibt so viel zu sehen. Es gefällt mir nicht, dass viele Menschen so faul und ohne Energie sind. Wir verlieren Traditionen, z.B. die Sprache Quechua. Vor allem in den Städten denken die Leute, dass dies die Sprache der armen Leute ist. Sie wollen kein Quechua mehr lernen oder sprechen, vor allem die Kinder in den Privatschulen. Ich denke, es sollte eine Veränderung in der Ausbildung geben. Die Kinder sollten lernen und das Gefühl haben, dass sie wichtig sind. Und dass sie helfen können und nicht nur zu ihrem eigenen Nutzen arbeiten. Wir haben eine Menge Korruption, weil die Menschen nur an sich selbst denken. Peru ist sehr ungerecht. Es gibt Menschen, die sehr hart arbeiten, z.B. viele Lasten zu den Märkten tragen, den ganzen Tag arbeiten, ohne viel Geld zu verdienen. Andere verdienen sehr viel Geld allein durch Korruption. Aber Peru hat viele gute Leute. Peruaner haben die Fähigkeit, alles zu tun, z.B. sie reparieren alles sehr oft, sie werfen zerbrochene Dinge nicht weg.
Was denkst Du über Deutschland?
Ich habe immer gedacht, dass die Deutschen sehr kalt und ernsthaft sind. Wie die Russen, sehr strebsam und sie trinken sehr viel. Aber alle Deutschen, die ich kenne, sind nicht so. Ich habe zum Beispiel ein sehr nettes älteres Ehepaar aus Deutschland kennen gelernt. Wir gingen zusammen an einige touristische Orte. Sie waren sehr lustig und freundlich. Es ist schwierig, sich unabhängig voneinander für ein anderes Land zu entscheiden. Die Medien sind ein großes Problem. Sie konzentrieren sich immer auf einige Dinge und machen sie größer als in Wirklichkeit, z.B. den Rassismus in Deutschland. Vielleicht ist Deutschland ein schöner Ort. In meiner Vorstellung ist es ein sehr hochentwickeltes Land mit viel Technologie.
Was feierst Du gerne?
Ich mag es, Weihnachten zu feiern. Meine Familie ist katholisch. Ich glaube an ein höheres Wesen als eine Art Energie, nicht als eine alte Person mit einem Bart. Aber Weihnachten ist für mich ein Familienfest. Ich sehe meine Familie gerne. Für mich ist es auch ein trauriges Fest, weil nicht alle Mitglieder meiner Familie zusammenkommen können. Meine Eltern leben in Lima, aber sie sind geschieden.
Ich mag auch Geburtstage. Wir machen ein schönes Abendessen, etwas Besonderes zum Geburtstag.
Bist Du schon einmal gereist?
Ich war schon in Lima, Ica, Pisco, Ayacucho und in der Umgebung von Ayacucho. Ich zelte gern in Huanta, dem höchsten Gipfel rund um Ayacucho. Dort gibt es fünf wunderschöne Seen. Es ist immer eine lange Wanderung. Wir lieben es immer, aufs Land zu gehen.
Wohin möchtest Du als Nächstes gehen?
Zuerst möchte ich mein eigenes Land kennenlernen. Außerhalb meines Landes interessiere ich mich für die Alpen, die Schweiz, Österreich. Ich würde gerne Schnee sehen. Und ich würde gerne nach Ägypten und nach Jerusalem reisen. Ich würde gerne überall hingehen.
Marisol, 29 years old, Ayacucho, Peru, 21. September 2003.