Südafrika


Südafrika


Claudia: Unser erster Blick auf Afrika ist wüst. Wir fliegen von Brasilien kommend über die Kalahari Wüste. Nur wenige kerzengerade Wege durchziehen die Landschaft, in der es nichts zu geben scheint. Oje, hier wollen wir Fahrrad fahren? Aber nicht die Dimensionen dieses Kontinents sind es, die uns zu schaffen machen.

These people – diese Leute

Eine weiße Frau spricht mich nach unserer Landung in Johannesburg an. „Viel Glück bei eurem großen Abenteuer. Aber seid vorsichtig, sehr vorsichtig. Ihr könnt diesen Leuten nicht trauen“. Dabei schielt sie halb über ihre Schulter. Hinter ihr läuft gerade ein Schwarzer vorbei. Wir sind kaum in Südafrika angekommen, da schlägt uns schon der Rassismus ins Gesicht. Bunte Werbebroschüren sprechen von der Regenbogennation. Regenbogennation? Es gibt 80% Schwarze, 11 % Weiße und 9% Farbige. Jede Gruppe hat Vorurteile gegenüber der anderen. Gerade in diesem Jahr wird die 10-jährige Freiheit vom Apartheids-Regime gefeiert. 10 Jahre Demokratie. 10 Jahre Abschied von der Denke, Rassen müssten strikt getrennt werden – und die Weißen seien die Überlegenen. Doch 10 Jahre sind offensichtlich nicht genug, um Toleranz und Gleichberechtigung herzustellen.

Schon hier am Flughafen wird klar, welche Hautfarbe noch immer das Geld hat. Die Weißen sehen aus, als wollten sie direkt zum Golfplatz durchstarten, die Schwarzen sind die Kofferträger. Von letzteren werden wir denn auch eine Stunde lang draußen umringt. Sie haben ihren Spaß daran, dass wir mit dem Fahrrad durch Afrika fahren wollen und lachen uns fröhlich an oder aus.

Eine andere Welt

Vom Hostel aus wollen wir die Umgebung erkunden. Auf kleinen Trampelpfaden entlang großer Straßen stapfen wir zur Fourway Mall. Spätestens jetzt denke ich, dass ich in Nordamerika gelandet bin. Die Läden heißen Pick´n´Pay oder Chicken-was-weiß-ich. Eine künstliche Welt mit künstlichem Essen in künstlichen Überportionen zu satten Preisen. Wir trinken einen fürchterlich aromatisierten Fruchtsaft, dessen Geschmack meilenweit vom dem der frischgepressten Säfte in Brasilien entfernt ist. Sind wir zu anspruchsvoll und unflexibel? Oder ist es einfach nur schrecklich, in einer westlich geprägten Einheits-Plastikwelt zu landen?

24 hours armed response –
beliebte Schilder an Stacheldrahtzäunen

Weil die Innenstadt von Johannesburg zu gefährlich geworden ist, sind die Hostels in die Vororte im Norden abgewandert. Ebenso die reichen Weißen. Sie verbarrikadieren sich in hypergesicherten Wohnanlagen, denen romantische Namen wie „Toskanisches Dorf“ gegeben werden. Toskana mit 24 Stunden bewaffneter Wache und elektrischem Zaun. So wird der Luxus gegenüber den Neidern abgeschottet. Zwischen diesen Wohn-Wachanlagen liegen verstreut die Malls, große Einkaufszentren. Alles ist verbunden mit großen Straßen. Fußgänger und Radfahrer passen nicht in diese Welt.

Für die wichtigsten Bedürfnisse 🙂

Nach zwei Tagen flüchten wir genervt aus diesem überdimensionalen Gefängnis. Nach Nelspruit. Hier ist es ein bisschen entspannter, die Zäune sind kleiner und es gibt sogar einen Irish Pub in dem auch Schwarze ihr Bierchen trinken. Aber noch setzen sich Schwarze und Weiße an getrennte Tische.

Auf fetter, mehrspuriger Straße verlassen wir Nelspruit mit Ziel Blyde River Canyon. In White River stoßen wir bei der Suche nach einem Übernachtungsplatz auf eine Familie, die uns anbietet, im Garten zu zelten.

Es ist sehr angenehm bei Linda und ihrer Familie. Sie ist bisher die einzige Weiße, die keinerlei rassistische Bemerkungen macht. Das liegt wohl auch an ihrer Bildung. Sie ist in Swaziland zu einer sehr liberalen Schule gegangen, in der auch die Kinder Nelson Mandelas unterrichtet wurden. Als ihre Eltern nach Südafrika zogen, wechselte sie auf eine Schule, die von deutschen Nonnen streng geführt wurde. Das war für sie ein ziemlicher Schock. Schuluniformen und Verbote bestimmten plötzlich ihr Leben.

Linda arbeitet heute für eine NGO, die sich zunächst für Umweltthemen, inzwischen jedoch für AIDS-Kranke und verwaiste Kinder einsetzt, da hier der Bedarf in Südafrika am dringensten ist. Ungefähr 33% der Bevölkerung sind infiziert. Die NGO arbeitet in den Homelands, auch Townships genannt, die ährend des Apartheid Regimes entstanden. Damals wurden die Schwarzen in Gebiete abgeschoben wo es keine guten Lebensgrundlagen gab, ohne fruchtbaren Boden und Trinkwasser. Heute hat sich dennoch die Bevölkerungszahl erhöht und die Menschen leben irgendwie mit den ungünstigen Bedingungen.

Gute alte Zeit?

Später kommt noch ein befreundetes Paar zu Besuch, Joyce und Peter. Sie bringen Fisch mit, zu Ehren von Michael Schumacher, der heute ein Rennen gewonnen hat. Bald schon hält Peter Vorträge über den Zusammenbruch südafrikanischer Staaten nach der Übernahme von schwarzen Regierungen. „Die neue Regierung will, dass die Arbeiter mehr Rechte bekommen, sich Gewerkschaften bilden. Das geht doch nicht! Die Unternehmen schaffen die Arbeitsplätze. Ausländische Investoren sind wichtig …“ so Peter. Ist das eine Zeitreise in die Anfänge der Industrialisierung verschärft durch einen gehörigen Schuss Rassismus?

Seine Frau setzt noch einen drauf. Wir reden über wilde Tiere und die Gefahr durch Elefanten und Löwen. Peter erklärt, dass in manchen Dörfern schon Schwarze, die vor ihrer Hütte geschlafen haben, von Löwen gefressen wurden.“If the lions pick the blacks, it´s ok“ ist der schlechte Scherz von Joyce. Ich kann mir es nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen. Sie rollen einfach. Zum Glück sehe ich im gleichen Moment auch Linda mit den Augen rollen.

Stein mit den ungefähren Umrissen von Afrika, draufgekratzt steht Africa
Africa – so ungefähr

Uns scheint es, als würde sich Südafrikas weiße Minderheit zu einem großen Klagegesang vereinen. Früher war alles besser. Tja, die Apartheid-Zeit war bestimmt „schöner“. Die Weißen als überlegene Rasse, die Schwarzen in Homelands ghettoisiert, aus dem Weg geschafft, aber als billige Arbeitskräfte ohne Rechte ausgenutzt. Nun ist es Zeit umzudenken. Das kann wohl nicht so schnell gehen. Immerhin sind viele zu uns sehr nett, hilfsbereit und aufgeschlossen. Das ändert jedoch wenig an dem faden Beigeschmack und der inneren Wut, die immer wieder bei uns aufkommt.

In Reih und Glied

Uwe: Kiefern, Kiefern, Kiefern. Von Sabie nach Graskopp radeln wir durch endlose Kiefernkulturen. Geradlinig steht Baum neben Baum, eintönig, langweilig. Selbst Hänsel und Gretel könnten sich hier nicht verlaufen. Der Wirtschaftswald verändert das Klima spürbar. Es ist trocken und heiß. Nur ein kurzes Stück fahren wir an dichtem, ursprünglichem Wald vorbei. Gleich merke ich, wie eine angenehme Kühle aus dem Wald ausströmt.

Als wir den kleinen Ort Graskopp erreichen freuen wir uns über die angenehm niedrigen Mäuerchen vor den Häusern. Ist es hier sicherer? Vielleicht, aber leider nicht weniger rassistisch. Wir trinken einen Kaffee und der junge weiße Kellner quatscht auf uns ein. Ihm gefällt es nicht mehr in Südafrika. Er beugt sich zu uns und senkt seine Stimme. „Früher war alles besser, … blablabla.“ Ich habe langsam wirklich keine Lust mehr auf diesen offenen Rassismus.

In Graskopp rät uns eine Frau von einer bestimmten Route ab. „Zu gefährlich! Townships!“ Wir sind inzwischen unsicher. Wo ist es denn wirklich gefährlich, wann bloß südafrikanische Paranoia der Weißen gemischt mit Rassismus? Also fragen wir auch den schwarzen Rezeptionisten am Campingplatz. Auch er bestätigt uns, das wir diese Strecke nicht fahren sollen, nicht mit dem Rad jedenfalls. Wir fragen ihn, ob es heute besser oder schlechter sei als früher. „Heute kann ich mich frei bewegen, in die Stadt gehen“ sagt er. „Niemand belästigt mich.“ Was für eine absurde Vorstellung, die doch lange Zeit Realität war. Die Schwarzen dürften nicht oder nur mit Sondergenehmigung in die Städte, mussten sonst in den ihnen zugeordneten Homelands bleiben. In den sogenannten „green areas“ durfte sich kein Schwarzer blicken lassen.

God´s Window, Wonderview und andere verheißungsvoll klingende Aussichtspunkte liegen in der Nähe von Graskopp. Ein kleiner Tagesausflug sind uns diese Attraktionen wert. Die Felsen der Schichtstufenlandschaft sind toll, aber die dicken Nebelschwaden lassen nur manchmal und dann nur ganz kurz eine Aussicht zu. Und was erblicken wir? Klar, feinst angeordnete Kiefern so weit das Auge reicht. Der ursprüngliche Regenwald ist nur als kleines „Ausstellungsstück“ am steilen Hang erhalten. Hier stehen Aloe Vera trotzig auf Felsen, die für die Forstwirtschaft zu unwirtlich sind.

Kontraste

Quad-Fahrer

Zurück in Graskopp erkennen wir das Örtchen kaum wieder. Auf dem bisher beschaulichen Campingplatz wuselt es wie in einem Ameisenhaufen. Mountain-Biker aus ganz Südafrika sind für das morgige Rennen angereist und haben die eine Seite des Campingplatzes um uns herum mit ihren Zelten gepflastert. Auf der anderen Seite tummeln sich Quad-Biker mit ihren ballonartig bereiften und röhrenden Gefährten. Sie haben die komfortablen Hütten auf der anderen Seite des Platzes gemietet.

Auf der Hauptstraße des Ortes ziehen zwei Welten Südafrikas an uns vorbei. Schwarze Schulkinder in Schuluniformen quetschen sich in überfüllte Minibusse während blitzende Pickups mit weißen Familien und großen Anhängern vorbeiziehen. Beladen sind sie mit mehreren dieser vierrädrigen, lärmenden Ungetüme „Affordable Family Adventure“ behauptet das Werbeschild am Campingplatz. Für uns wirkt das dann doch eher wie ein träger Luxussport dem ausnahmslos Weiße frönen.

Rennrad-Fahrer

Am nächsten Morgen sind wir gerade rechtzeitig startbereit, um uns den Start des Mountainbike Rennens anzuschauen. 1700 Teilnehmer aus ganz Südafrika machen sich in mehreren Wellen auf den 70km-Kurs. Wir machen uns auf den Weg auf unsere eigene Tagesetappe bevor die zweite Welle startet. Dabei ernten wir mit unseren bepackten Rädern einen Sonderapplaus und einer ruft uns nach: „Hey, das Rennen geht nur über einen Tag!“

Kinder mit einem selbstgebauten Fahrzeug
Kleine Konstrukteure

Claudia: Heute radeln wir durch sogenanntes „schwarzes Gebiet“ (black area). Hier wohnen die „Blacks“. Wieder regnet es Warnungen: „Landschaftlich sehr schön, aber leider zu gefährlich“. Uns erwarten einfach bloß Häuser und Dorfnamen, die in keiner Karte eingezeichnet sind.

Unser Ziel ist das Aventura Blydespoort Resort sein, eine Übernachtungsmöglichkeit direkt am Blyde River Canyon. Alles ist sehr gepflegt und großräumig angelegt. Neben zahlreichen Ferienwohnungen gibt es auch einen Platz zum Campen. Typisch für südafrikanische Campingplätze: die sanitären Einrichtungen sind mit Gardinchen und Badewannen ausgestattet. Vom oberen Teil der Anlage haben wir einen fantastischen Blick auf die drei runden, mit Gras und anderem Grünzeug bewachsenen Felsen „Three Rondavels“. Endlich mal ein Stück unberührte Natur.

Zurück von unseren Abstecher in den Canyon erreichen wir Hazyview. Wir landen mitten im lebhaften Marktleben. Viele Schwarze schwatzen nett auf uns ein und wir staunen, wie viel billiger das Gemüse hier ist im Vergleich zum „Good-for-you“-Spar-Markt, von dem es in jeder südafrikanischen Kleinstadt mindestens zwei Filialen zu geben scheint.

Blick über den Blyde River Canyon
Blyde River Canyon

In unserer Unterkunft unterhalten wir uns lange mit Richard. Er verkauft Holzhandwerk aus Malawi an südafrikanische Geschäfte und Straßenhändler. Er ist Malawier, seine Freundin aus Botswana. Anschaulich berichtet er von den Akzeptanztests, die seine Freundin in seinem Heimatdorf zu bestehen hatte. Ganz bestimmte Vorstellung gibt es in Malawi vom Verhalten und den Tätigkeiten einer Frau, mit denen sie als Botswanerin nicht konfrontiert war. Heiraten könnten sie nicht, weil die Mitgiftregelungen so unerschwinglich sind. Deshalb lebt er mit seiner Freundin und den gemeinsamen Kinder unverheiratet in Botswana. Für seine Handelsgeschäfte reist er durchs lukrativere Südafrika.

Südafrika ist für viele Afrikaner aus den umliegenden Ländern das Mekka zum Geldverdienen. Bereits zu Zeiten der Apartheid kam Richard nach Südafrika, um in einer der Minen zu arbeiten. Mit seinem Freund habe er vor einem Schaufenster mit Jeans gestanden und ist dabei von der Polizei aufgegriffen worden. Unwissend waren die beiden Malawier in eine „Green area“ gegangen – für Schwarze verboten!

Im Kruger Park

Ein Elefant läuft über die Straße, ein Autofahrer lehnt sich aus seinem Fenster, um ihn zu fotografieren
Durch den Kruger Park darf man nur im Auto

Zurück in Nelspruit kehren wir in die Sun Lodge ein und treffen auf Reinette, die die Lodge und noch einiges andere verwaltet. Und da Reinette nicht nur ein riesiges Organisationstalent, sondern zudem äußerst nett ist, nimmt sie uns auf eine Fahrt durch den Kruger National Park mit. Reinette hat früher als Krankenschwester im Park gearbeitet und kennt sich sehr gut aus. Sie erzählt von mosambikanischen Flüchtlingen, die sich durch ihre Flucht in den Kruger Park in gefährliche Situationen gebracht haben und ärgert sich über Touristen, die mit ihren Autos riskant neben Elefanten rangieren.

Safari

Wo eine Giraffe ist…

Safari, das heißt im Kruger Park vor allem im Auto sitzen und fahren und gucken. Am ersten Tag brät die Sonne vom Himmel. Wir fahren und gucken und gucken… kein Tier ist zu sehen. Na gut, ein paar Gazellen oder eine Giraffe in der Ferne, aber ansonsten verstecken sich die Tiere im Schatten der Bäume. Unerklärlich bleibt, wie das die großen Elefanten schaffen. Am nächsten Tag regnet es. Und siehe da, es gibt sie also doch, die großen Tiere im Kruger Park. Wir sehen viele Zebras und Giraffen. Zwei Elefanten kreuzen direkt vor uns die Straße. Jetzt erklären sich auch die vielen Schlechtwetter-Tierfotos, die man überall sieht, sobald man einem Amateur begegnet, der ein großes Tier vor die Kamera bekommen hat.

… sind Zebras nicht weit.

Schließlich sehen wir eine große Menge Autos. Da muss was los sein. Löwen, schätzt Reinette mit reichlich Kruger-Erfahrung. Richtig. Löwen. Und eine Herde niedlicher Impalas. Wissen die nicht, dass dort drüben die Löwen lauern. Oder besser gesagt die Löwinnen rumstreunen. Die Weibchen machen sich auf den Weg Richtung Impalas, das Löwenmännchen liegt derweil faul im Gras. Jetzt wird es spannend. Die Impalas fangen an, zu husten, eine typische Reaktion, wenn sie Gefahr wittern. Sie harren ganz schön lange an ihrem für meinen Geschmack viel zu löwennahen Fleck aus. Endlich bewegen sich die Impalas von dannen und die Löwinnen tapern weiter unmotiviert durchs Gras. Halbherziges Jagen. Aber ich finde es okay und hätte jetzt auch nicht wirklich Lust auf blutige Szenen gehabt.

Über hohe Berge ins kleine Königreich Swaziland

Ein anstrengender Tag mit steilen und schlechten Pisten liegt vor uns. Hinzu kommt, dass der Grenzübergang nach Swaziland um 16.00 schließt. Also stehen wir früh auf. Um 6.30 radeln wir bereits durch die nebligen und leeren Straßen von Barberton. Bald geht es steil aufwärts. Es dauert nicht lange, da höre ich neben mir eine Stimme: „This is a hell of a climb. How far do you want a lift?“. Es ist Maximillian, der seinen kleinen Hund auf der Bergstrecke „Gassi“ fährt. „He loves it“ ist sein Kommentar. Und so sind bald die Räder und das Gepäck beim Hund auf der Ladefläche und wir quetschen uns vorne zu Maximillian. Die beiden ersparen uns sechs Kilometer steiles Bergauf.

Auf herrlich verkehrsarmer, aber steiler Schotterpiste, holpern wir Richtung Grenze. Wir sind froh, endlich in ein anderes afrikanisches Land zu kommen, hoffen, den Rassismus hinter uns zu lassen. Um 13.30 Uhr stehen wir an der Grenze zu Swaziland.