Kambodscha


Kambodscha


Es ist noch gar nicht so lange her, da hat der Diktator Pol Pot Kambodscha zur Hölle auf Erden gemacht. Das war zwischen 1975 und 1979. Aber inzwischen ist das Land aus dem Albtraum aufgewacht. Die Menschen sind lebenslustig und strahlen uns an. Für uns war Kambodscha eines der faszinierendsten Ländern auf der bisherigen Reise. Spielende Kinder, staubige Straßen und viel Wasser. Und mit den Tempelanlagen von Angkor hat dieses Land einen ganz besonderen Schatz zu bieten.

Andere Welt

Claudia: Was für eine Grenze: Sie liegt einfach so mitten im Nichts und trotzdem fahren wir in eine andere Welt. Der Asphalt hört auf. Frauen mit karierten Handtüchern auf dem Kopf und zwei großen Körben rechts und links am Fahrrad fahren in Schlangenlinien auf der roten Piste und versuchen so, die mit Regenwasser gefüllten Schlag-Schlammlöcher zu umschiffen. In der Ferne sehen wir einen Traktor auf uns zu eiern.

Es sieht so aus, als wäre der Fahrer betrunken, aber auch er versucht nur, um die Schlammlöcher herumzukommen. Trotz der schlechten Piste, die einiges an Konzentration erfordert, ist es unglaublich entspannt und ruhig. Ein ganz anderes Gefühl als auf den Highways von Vietnam.

Uwe: Nach kurzer Strecke machen wir erstmal Pause und freuen uns. Wir sind in Kambodscha. Sogar mein Fahrrad macht einen Freudensalto: Es steht am Straßenrand und eine Windböe bläst es mal eben die Böschung runter. Später spricht uns ein Mann vom fahrenden Moped aus an. Er begleitet uns bis Takeo und spricht in einem unglaublich höflichen Englisch „Excuse me, Sir, would you like to….?“. In Takeo haben wir zwei junge Radler an unserer Seite. Weiße Zähne lachen uns aus dunklen Gesichtern an und freuen sich, mit uns englisch sprechen zu können.

Von Takeo geht es weiter nach Kampot. Kambodscha ist ein recht plattes Land. Aber hier im Süden sind einige Berge zu finden. Wir radeln durch grüne Reisfelder mit hohen Zuckerpalmen, im Hintergrund ragt das Bergmassiv des Bokor-Nationalparks empor. Von Kampot aus führt uns ein kleiner Rundtrip zu den Karsthöhlen von Phnom Sorseha und zu dem Küstenort Kep.

Bald schon stehen wir vor dem Hügel mit der Pagode der drei Höhlen. Ein junger Mönch kommt sofort auf uns zu, in der Hand hält er einen kleinen Zettel mit englischen Sätzen. Er möchte wissen, ob sie so richtig sind. Dann führt er uns durch die Höhlen. Hier wohnen nicht nur Buddha-Statuen, sondern auch jede Menge Fledermäuse. Sie flattern dicht an uns vorbei. Stinken tun sie auch, was Claudia nicht daran hindert, sich in Fledermaus-Scheiße zu setzen. Vom Hügel haben wir einen herrlichen Ausblick zum Bokor-Massiv und übers Meer zu verschiedenen Inseln.

Um Kep herum ist die Landschaft zauberhaft: Unregelmäßig verschachtelte und geflutete Reisfelder, kleine Bäche, buntbemalte Stelzenhäuser mit großen Veranden und viele viele Palmen. Dazu gehören freundlich lachende Menschen und viele spielende Kinder. Jetzt in der Regenzeit plantschen sie überall in den Flüssen und Pfützen.

Dass sich die Futterbuden am Strand auch bestens zum Schlafen eignen, entdecken wir im Ream Nationalpark. Mit Isomatten und Moskitonetz schlafen wir direkt am Strand.

Als am nächsten Morgen die ersten ihre Buden öffnen, hat niemand ein Problem damit, dass wir hier „eingekehrt“ sind. Wir radeln am Strand entlang und landen an einem Dorf. Es liegt direkt am feinen weißen Sandstrand mit vielen riesigen Palmen.

Zur Zeit heißt der bekannteste Badeort in Kambodscha Sihanoukville (zu Ehren des Königs Sihanouk). Einige Strände sind bereits privat aufgekauft und große Hotelkomplexe befinden sich im Bau. An anderen Stränden zimmert jeder noch schnell eine Bude, um noch mehr Billigunterkünfte bereitzustellen. Und vom Strand bläst verschiedenste Musik. Wir schlendern am Abend herum und werden am Rande einer tanzenden Gruppe „eingefangen“. Tanzen? Ich will erst ein Bier. Informatik-Absolventen aus Phnom Penh feiern ihren Abschluss hier am Strand und ziehen alle möglichen Touristen in die Runde.

Hilfe die ankommt

Claudia: Wir wollen mit einem Sozialarbeiter des Starfish Projects losziehen. Starfish kümmert sich um Menschen in der Region, die Hilfe brauchen. Mit Serin, dem Sozialarbeiter fahren wir in zwei Dörfer. Dafür satteln wir auf ein Moped um. Unsere erster Stopp ist bei einem älteren Ehepaar. Die beiden haben keine Kinder. Das Dach der kleinen Hütte ist kaputt, bei Regen bietet es keinen Schutz mehr.

Die beiden Alten sehen so dünn und zerbrechlich aus, dass es einem fast das Herz bricht. Kümmert sich die Dorfgemeinschaft nicht um die alten Leute? Doch, sie werden versorgt, bekommen Reis von den Nachbarn. Aber für ein neues Dach hat auch das Dorf kein Geld. Deshalb springt Starfish ein, zahlt die Materialien und prüft, ob das Geld auch wirklich für das Dach eingesetzt wird, erklärt Serin.

Als nächstes fahren wir in ein hübsches Fischerdorf. Kleine Wege führen durch Sand und Plamen zu den verstreut stehenden Häusern. Ein blinder Fischer soll von Starfisch einen neuen Motor bekommen, damit er wieder fischen gehen kann. Er hat eine Familie mit sieben Kindern zu versorgen. Einen Motor für einen blinden Fischer? Kein Problem, sein ältester Sohn fischt mit und sagt, wo es lang geht. Wir kommen bei der Familie an.

Auch ihr Dach ist kaputt, aber sie haben sich für einen Motor entschieden, weil sie dann wieder Geld verdienen können. Damit kann dann später das Dach repariert werden. Seit anderthalb Jahren reist Serin für Starfish durch die Dörfer und guckt, wo direkte Hilfe möglich und notwendig ist.

Ihm selbst hat Starfish mit einer Prothese geholfen. Beim Fischer verlor er durch einen Unfall mit der Seilroll seinen Arm. Heute arbeitete er drei Tage pro Woche für das Starfish Project und studiert an der Uni „Englische Literatur“.

Eine Zugfahrt, die ist …. speziell

Unser Abstecher in den Süden Kambodschas ist zugleich eine Sackgasse. Den gleichen Weg zurück oder auf dem Highway 4 nach Phnom Penh? Der Highway 4 ist die breiteste, größte, am besten ausgebaute Straße von Kambodscha und der Verkehr ist fürchterlich. Also entscheiden wir uns für den Zug, um zurück nach Takeo zu gelangen. An einem Tag fährt der Zug von Sihanoukville die 263 Kilometer nach Phnom Penh, am nächsten Tag fährt er wieder zurück. Die genaue Uhrzeit weiß keiner. Eigentlich soll es um 6:30 Uhr morgen losgehen, aber so früh ist der Zug wohl noch nie abgefahren. Frühestens um 7 Uhr, manchmal erst um 12 Uhr, heißt es am Bahnhof.

Wir haben Glück, denken wir, schon um 9 Uhr geht es los. Und es gibt einen Wagen mit Sitzbänken, wenn auch etliche davon aus der Verankerung gebrochen sind. Einige Passagiere haben ihre Hängematten vor die offenen Fenster geknotet und damit sicher die besten Plätze. Weggerostete Stufen, abgebrochene Holzverkleidungen, umgekippte Sitzbänke, große Löcher im Dielenboden, Lampenfassungen, die seit Jahrzehnten wohl keine Lampe mehr gefasst haben. In den Zug ist lange kein einziges Riel – geschweige denn ein ganzer Dollar – investiert worden.

Im Zug kocht eine Frau Reis mit Hühnchen. Sie klettert sogar aufs Dach, um die Passagiere dort oben zu versorgen. Und durch die offenen Fenster sausen mal Käfer, mal große Schmetterlinge munter rein und raus.

Auf den verbogenen Schienen kann er sich nur im Schneckentempo vorwärts schaukeln. Das hat den Vorteil, dass Be- und Entladen bei fahrendem Zug möglich ist. Auf den Dächern der drei Güterwagen sitzen etliche junge Männer, die in den Dörfern abspringen und eiligst Holzstämme und Balken verladen. Ein Moped in ein schienentaugliches Holzgerüst geschraubt, fährt auf den Schienen dem Zug hinterher, holt ihn ein und eine Frau klettert in den fahrenden Zug. Mopedzubringer!

Um 16.30 bleibt der Zug mitten auf der Strecke stehen. Uwe klettert aufs Dach. „Das musst du dir selbst anschauen, sonst glaubst du es nicht!“ ruft er. Die Schienen sind S-förmig verbogen. Davor hocken Männer und messen und diskutieren. Wie den Zug darüberbringen? Wie kommt überhaupt so ein großes S in die Schienen? Nach einiger Zeit setzt sich der Zug in Bewegung – ganz langsam. Es rollen die ersten beiden Güterwagen über die schwierige Stelle.

Dann passierts. Die Männer, die rechts und links der Böschung stehen und immer wieder Kommandos mit dem Lokführer austauschen, schreien auf, springen zur Seite und die Böschung runter, einige lachen laut auf. Der dritte Güterwagen ist entgleist. Und wir im Passagierwagen sind auch noch nicht drüber. Na großartig, was nun?

Um uns herum sind nur Felder, Gebüsch und Wald. Weit und breit ist keine Straße in Sicht. Ein Haufen Männer steht um den entgleisten Wagen herum und diskutiert. Drei Männer, zwei davon mit automatischen Gewehren, versuchen vergeblich mit einem Handy zu telefonieren, ziehen dann wichtigtuerisch querfeldein davon. War das unser Begleitschutz?

Dann packen die ersten Passagiere ihre Sachen und laufen über die Gleise von dannen. Gibt es dort vorne ein Dorf? Wie weit ist es entfernt? Wir können uns kaum verständigen, finden niemanden, der englisch spricht. 20 Kilometer malt uns jemand in den Sand. Vielleicht können wir über die Schienen zurück bis zur Straße und dann zum Badeort Kep fahren? Wir beschließen, das restliche Tageslicht zu nutzen und auch loszuziehen. Uwe schmeißt das Gepäck aus dem Fenster.

Da deutet uns eine Frau an, wir sollen wieder rein, der Wagen würde angehoben, bald ginge es weiter. Und tatsächlich. Es tut sich was an der „Unfallstelle“. Also laden wir alles wieder ein, beschließen, geduldig zu sein und abzuwarten, was passiert. Doch viel passiert nicht. Als wir eine Frau sehen, die sich im kleinen Tümpel neben den Gleisen vollbekleidet mit einem Schüsselchen duscht, finden wir uns damit ab, hier zu übernachten.

Wir hängen unsere Hängematten vors Fenster, inzwischen sind genug „Plätze“ frei. Da spricht uns ein Mann auf englisch an. Mit über 50 Jahren hat er in den Ländern Vietnam und Kambodscha einiges an persönlicher Kriegsgeschichte hinter sich. Mit den Amerikanern hat er in Vietnam gekämpft, deshalb spricht er englisch. In Kambodscha hat er unter dem schrecklichen Pol Pot-Regime gelebt und ist fast gestorben. „Wir mussten hart arbeiten und hatten immer Hunger“ sagt er. Jetzt ist er auf dem Weg nach Takeo, will dort seine Frau besuchen, die im Krankenhaus liegt. Er macht sich Sorgen um seine kranke Frau, die in Takeo auf ihn wartet und um seine sieben Kinder zuhause. Deshalb müsse er trinken. Und so schüttet er fleissig Reiswein in sich hinein und wird immer betrunkener und redseliger. Ich schwanke: Mal fühle ich mich wie in einem vorpubertären Zeltlager, in dem man sich vor dem Schlafengehen Gruselgeschichten erzählt. Mal finde ich es wirklich unheimlich und mache mir Gedanken über die Sicherheit eines liegengebliebenen Zuges in Kambodscha.

Noch vor wenigen Jahren durften keine Tickets an Ausländer verkauft werden, weil der Zug immer wieder überfallen wurde. Und unser neuer Freund Kun weiß nur von bösen Menschen zu berichten. Genau hier sei mal ein Schlachtfeld gewesen, aus diesem Zug wurden schon drei Europäer entführt. Aber er würde uns beschützen. Es sei nicht gut, wenn ein Zug nachts stehenbliebe. Uwe soll wach bleiben, ich soll schlafen. Morgen wird repariert, vielleicht übermorgen.

Um 21 Uhr gibt es einen weiteren Tumult. Wieder packen etliche Frauen ihre Sachen. Auch die nette Frau, die uns zuvor am Weggehen gehindert hat. Sie deutet uns an, wir sollen auch gehen. Bleiben jetzt nur noch die Männer im Zug? Wo wollen die Frauen hin? Uwe läuft an die Spitze des Zuges und sieht, dass dort Holzkarren bereitstehen, mit denen die Leute ins nächste Dorf gefahren werden. Unterdessen schwallt Kun auf mich ein. Wir sollen im Zug bleiben. Jetzt käme nur noch Wald und das nächste Dorf liege mitten im Wald, die Menschen dort seien nicht gut, er habe zu Buddha für uns gebetet, dass er den Zug und uns beschütze…..Kriegspsychose oder Schwätzer? Wieder sind wir unsicher. Raus oder Hierbleiben?

In solchen Momenten sind Frauen was Beruhigendes. Es bleiben doch noch ein paar Frauen im Zug. Vor uns sitzt eine Frau mit einem kleinen schlafenden Baby. Sie beobachtet es sorgsam mit der Taschenlampe. Und die Männer draußen arbeiten inzwischen hart. Nachdem in einer großen Hauruck-Aktion unser Wagen vom entgleisten Wagen abgekoppelt wurde, buddeln sie fleißig, heben den Wagen an und biegen die Schiene unter dem Wagen zurecht. Dabei stoßen drei Männer einen Baumstamm immer wieder gegen die Schiene, wahrend ein weiterer mit einem Stöckchen den Abstand zwischen den Schienen misst. Angesichts so viel ausdauernder Manneskraft sind wir optimistisch und bleiben. Keiner meckert oder schimpft. Es ist erstaunlich, mit welcher Ausdauer mitten in der Nacht die Schiene bearbeitet wird.

Auch der Schaffner macht uns Mut. Er spricht französisch und sagt, wir seien hier sicher. Mit den beiden Kerzen an den Wagenenden wird es fast gemütlich. Das einzige Licht sonst sind die zahlreichen Taschenlampen, die viele dabei haben. Die „Bordküche“ versorgt uns mit etwas Reis und einem Ei mit Salz.

Endlich, um 23 Uhr steht der Wagen wieder auf den Schienen. Wir müssen noch angekuppelt werden und die beiden hinteren Wagen über das angehauene „S“ manövriert werden. Wir fühlen uns wie bei „Wetten dass“. Schafft es der Zug oder nicht? Ganz langsam ruckelt er Stückchen für Stückchen vorwärts.

Inzwischen gibt es Stau auf der Schiene. Im Dunkeln taucht hinter uns so ein menschenüberfülltes Holzgefährt auf. Gerade in dem Moment, als wir die gefährliche Stelle fast überwunden haben. Der Zug schafft es. Das unwirklich erscheinende Gefährt hinter uns hat es leichter. Nur wenige steigen ab und schon bald sind sie über die verbogenen Schienen gejuckelt. Was machen die hier mitten in der Nacht?

Ich bin froh, dass es weitergeht. Das helle Mondlicht scheint auf meine Hängematte am Fenster und auf die schöne Landschaft, die langsam an mir vorbeizieht. Da wirkt nichts mehr bedrohlich. In den Dörfern fliegt immer wieder Holz raus oder rein. Um 2 Uhr morgens sind wir in Takeo. Aber was sollen wir jetzt hier? Wir fahren weiter nach Phnom Penh und kommen dort um ca. 7 Uhr morgens an. Nach 22 Stunden im Zug.

Phnom Penh und seine traurige Vergangenheit

Phnom Penh ist die Hauptstadt Kambodschas. Trotzdem gibt es hier keine Bürotürme oder Hochhäuser. Die repräsentativen Gebäude sind Wats, Pagoden und der Königspalast und die Nationalgalerie im Khmer Stil. Aber auch ohne Büroglastürme gibt es viele Kontraste. Ein Mercedes S-Klasse fährt über die ungeteerte Straße, Blech- und Holzhütten stehen neben verbarrikadierten ummauerten großen Häusern mit getönten Scheiben, gelbgestrichene Villen zeugen von der französischen Kolonialzeit.

Am Abend treffen wir uns mit Holger und Iris, zwei deutschen Touristen, und freuen uns, mal wieder Deutsch zu quatschen. Als wir um 23.30 Uhr zu unserem Guesthouse quer durch die Stadt radeln, ist es gespenstisch leer. Es ist Freitagabend, doch nur wenige Jugendliche hängen an der Uferpromenade des Tonle Sap herum. Restaurants und Bars sind geschlossen oder fast leer. Die Menschen sind immer noch ängstlich.

In der Vergangenheit der Kambodschaner spielt Phnom Penh eine besonders traurige Rolle. Die Kambodschaner haben unter den Kriegen in Indochina bis in die jüngste Vergangenheit schrecklich gelitten. Unfreiwillig wurden sie in den amerikanischen Krieg in Vietnam hineingezogen. Zum einen fielen amerikanische Bomben über Kambodscha um die Versorgungswege der Nordvietnamesen zu sprengen, zum anderen wurde König Sihanouk mit Unterstützung der USA geputscht und eine USA-freundliche, aber ungeliebte Regierung eingesetzt.

Diese schwache Regierung führte dazu, dass die ultralinken Roten Khmer unter Pol Pot die Macht übernehmen konnten. Viele Menschen flohen in die Stadt Phnom Penh. Als die Roten Khmer am 17. April 1975 auf die Stadt zumarschierten, wurde die amerikanische Botschaft evakuiert. Alle Menschen in der Stadt wurden von dem neuen Horrorregime aufs Land getrieben. Die wahnsinnige Vorstellung der Roten Khmer war, eine ideale kommunistische Gesellschaft ohne Zwischenschritte aufzubauen. Wer nicht fähig war, unter den Belastungen eines harten Bauernlebens zu existieren, wurde umgebracht. Viele verhungerten. Der unglaublicher Völkermord kostete ca. 2 Millionen Menschen das Leben. Zahlreiche „Killing Fields“ zeugen heute vom schrecklichen Morden.

1979 wurden die Roten Khmer durch die Vietnamesen gestürzt. Die westliche Welt – immer noch aus Antiphatie gegen die Vietnamesen – erkannte die neue Uebergangsregierung nicht an. Pol Pot wurde, obwohl sein Massenmord bekannt war, für weitere 10 Jahre ein Sitz in der UNO freigehalten. 1991 endlich führten Friedensverhandlungen und freie Wahlen zum Ende des Bürgerkrieges. Eine große UNO-Mission mit mehr als 20.000 Menschen kontrollierte den Waffenstillstand und den Ablauf der Wahlen. König Sihanouk kehrte ins Land zurück und ist bis heute in seinem Amt. Mit dem Rückzug der führenden Köpfe der Roten Khmer und insbesondere dem Tod von Pol Pot 1998 erstarben auch die letzten Kämpfe und Ueberfälle der Roten Khmer in Kambodscha. Am 27. Juli 2003 sind zum dritten Mal Wahlen in Kambodscha. War die jüngste Vergangenheit auch noch so schrecklich, die Kambodschaner blicken auf eine alte Hochkultur zurück, auf die sie sehr stolz sind. Bis 1970 war Kambodscha die „Schweiz“ Südostasiens. Heute sind die Kambodschaner froh, dass Frieden herrscht, auch wenn viele sagen, dass sie nicht recht an wirklich freie Wahlen Ende des Monats glauben und über Korruption klagen.

Apsara-Nachwuchs

Jeden Morgen und jeden Nachmittag lernen und trainieren ca. 40 Kinder den klassischen Tanz der Kambodschaner. Apsaras, das sind die Halbgöttinnen, die fliegend, tanzend, die Finger verbiegend in den Tempeln von Angkor verewigt sind. Hier in der Apsara-Tanzschule werden die Steinfiguren lebendig. Wie kleine Balletttänzerinnen haben die Kinder schön eine perfekte Körperhaltung.

18 der Mädchen und 10 der Jungs hier sind Waisen. Von der Apsara Art Association werden sie beherbergt und versorgt und zur Schule geschickt. Die Organisation wird von Japanern gefördert. Die Kinder sind schrecklich süß. Ein Mädchen hat es mir besonders angetan. Mandelförmige Augen, dunkle Haut, strahlendes Lächeln. Es ist eine tolle Einrichtung: Die Khmer Kultur wird lebendig, die Kinder haben ein Zuhause und wirken selbstbewusst.

Leben auf dem Wasser

Uwe: 15.6.03, von Phnom Penh führt unser Weg auf kleinen Straßen über Oudong nach Kompong Chnang. Mitten in Kambodscha liegt der große Binnensee Tonle Sap. Überall auf dem Tonle Sap leben Menschen in „Schwimmenden Dörfern“. Am Tonle Sap hat sich eine besondere Wohnkultur entwickelt. Mit dem Wasserstand des großen Sees ziehen die Menschen mal auf das Festland, um in den Stelzenhäusern zu leben, mal auf den See in schwimmende Häuser.

Ganz in der Nähe von Kompong Chnang, am südlichen Ende des Tonle Sap ist ein solches Dorf. Die Häuser am Ufer stehen auf sehr sehr hohen Stelzen, 10 Meter oder mehr. Eine wackelige Fußgängerbrücke besteht lediglich aus großen Latten und führt über die Mündung eines Nebenflusses.

Eine Frau schippert uns den Fluss rauf und runter, vorbei an Hunderten von schwimmenden Häusern und Hütten. Bündel von dicken Bambusrohren dienen als Schwimmer. Auf dem Wasser gibt es alles, was zum Dorfleben gehört: Kaufläden, Tankstellen, Restaurants oder Bars, die sich durch deutlichen Männerüberschuss ausmachen lassen. Zwischendurch braust das Schnellboot aus Siem Reap vorbei und versetzt alles ins Schaukeln. Es passt so gar nicht in diese einfache Welt.

Über die Straße 5 radeln wir weiter über Poursat und Möng Roussei bis nach Battambang. Von dort kreuzen wir mit einem Boot den nördlichen Teil des Tonle Sap, um nach Siem Reap zu gelangen. Siem Reap ist der Ausgangspunkt für die sagenhaften Tempelanlagen von Angkor.

Die Tempel von Angkor

Claudia: Schon am ersten Tag in Kambodscha hat uns ein Kambodschaner erklärt: „Wenn ihr das erste Mal nach Angkor fahrt, werdet ihr ganz aufgeregt sein“. Ein anderer sagte „Die Tempel von Angkor sind für mich wichtig, denn sie sind die Wurzeln der Khmer Kultur“. Wir sind gespannt. Angkor war die heilige Stadt der Khmer vom 9. bis zum 12 Jahrhundert n. Chr.. Zur Blütezeit lebten hier mehr als 1 Mio. Menschen. Angkor Wat ist der größte Tempel der Welt und weitere ca. 50 Tempel stehen in einem Gebiet von ca. 200 qkm verstreut im Dschungel. Ich bin tatsächlich aufgeregt. Bald sehen wir Angkor Wat zum erste Mal. Hinter einem großen Wassergraben und in der Ferne stehen die Türme des Tempels. Wir kraxeln zum Phnom Bakheng auf einen Hügel.

Der Tempel hat schikanierend schmale Stufen. Die Füße zur Seite gestellt und an den oberen Stufen festkrallend krabbeln etliche Touris zum Tempel empor, um dort oben den Sonnenuntergang zu genießen. Da Kambodscha so flach ist, habe ich auf den wenigen Hügeln immer das Gefühl, das ganze Land sehen zu können. Doch ganz anders als von den Tempeln in Oudong sehen wir hier nicht nur Reisfelder und Zuckerpalmen, sondern viel Wald. Wo sind denn die 50 Tempel? Angkor Wat ist zu sehen, sonst nur Wald. Toll. Und Westen Barray, ein riesiges Wasserreservoir der alten Khmer. Jetzt stehen uns drei Tage Angkor bevor.

Die Tempel von Angkor sind unglaublich. So verschieden, so schön, so beeindruckend, immer wieder. Dabei finde ich oft nicht nur die Architektur des Gesamtgebäudes beeindruckend, sondern die vielen Details und Entdeckungen, die in einem Tempel möglich sind. Manches ist zerfallen, manches überwuchert. Da steht ein Baum auf der Mauer und die Wurzeln „fließen“ herunter, da liegt ein herausgebrochener Torbogen mit aufwendigem Relief einfach so zwischen den Trümmern, da gibt es kilometerlange Wände mit feinsten Reliefs zu bestaunen.

Es ist überwältigend und uns wird schnell klar, dass man wohl wochenlang durch Angkor streunen kann, und immer wieder Neues entdeckt. Besonders schön sind die Apsaras. Das sind Abbildungen von Frauen mit aufwendigen Frisuren und Schmuck, stehend oder fliegend, lächelnd. Nach der Angkor Legende sind sie Halbgöttinnen. Sie sind in Angkor allgegenwärtig. Die schönsten und aufwendigsten Apsaras sind in Angkor Wat. Und sie sind alle verschieden. Keine ist wie die andere auch wenn sie sich ähneln. Das macht sie noch menschlicher und echter. Ein Harem Frauen in Stein verewigt.

Oder der Bayon-Tempel mit den vielen Gesichtern. Alle lächeln, mal mit offenen, mal mit geschlossenen Augen. Insgesamt gibt es 37 Türme, die mit großen, in Stein gehauenen Gesichtern in alle vier Himmelsrichtungen.

Es ist faszinierend. Im oberen Bereich des Tempels sind sie ganz nah und überall und ewig lächelnd. Was für eine Stimmung. Im unteren Bereich des Tempels gibt es meterlange Reliefs mit Szenen aus dem Leben der damaligen Khmer, Schachspieler, Menschen die Früchte sammeln, Leben und Sterben.

Als ich durch den Tempel streife, sehe ich, wie eine Nonne einer „Barrang-Frau“ (Ausländerin) Räucherstäbchen in die Hand drückt. Auch heute noch pilgern Buddhisten zu den Tempeln von Angkor, leben zahlreiche Nonnen und Mönche hier und zünden vor alten Buddhafiguren Räucherstäbchen an, neue Wats und Pagoden werden gebaut. Ich komme näher und sehe, die „Barrang-Frau“ ist ja Uwe.

Uwe: Am meisten Spaß macht es, wenn wir unerwartet über irgendwelche Schätze stolpern. So wie an der Terrasse der Elefanten. Sie wurde zwei mal erweitert, so das ältere Reliefs erst durch Ausgrabungen wieder zum Vorschein kamen. Eher zufällig sehen wir den Schacht, in dem die gut erhaltenen Reliefs von Kriegern und Dämonen zu sehen sind.

Claudia: So verlassen wir Angkor nach drei Tagen. Ich bin völlig erschlagen, weil wir heute morgen schon um 6 Uhr gestartet sind. Und ich bin fast traurig. Jetzt womöglich nie wieder Angkor sehen? Beim Rausradeln muss ich noch möglichst viel aufsaugen.

Die Gesichter der Khmer

Nachdem ich Ankor besichtigt habe, ist mir noch deutlicher klar, warum Angkor für die heutigen Khmer so bedeutsam ist. Es sind ihre Gesichter, die dort in Stein verewigt sind.

Kein Wunder also, dass die Kambodschaner sauer reagierten, als eine thailändische Schauspielerin verkündete, Angkor gehöre eigentlich zu Thailand. Deshalb gleich die thailändische Botschaft zu ramponieren und die Grenze zu schließen, wie es Anfang des Jahres geschah, ist vielleicht etwas überreagiert.

Die Flamme des Friedens

Uwe: In einem großen Fußballstadion ist ein Scheiterhaufen aufgebaut. Mit schätzungsweise einigen hundert Gewehren. Was ist da los? Wir wollen es uns näher anschauen. Es ist eine offizielle Veranstaltung mit vielen Soldaten, Polizisten und Zuschauern, die einem Podium lauschen. Bald schon fangen einige Männer an, zwei Tonnen Brennstoff in Eimern über die Gewehre zu kippen. Fackeln mit meterlangen Stielen werden getränkt und zurecht gelegt.

Als ich den Scheiterhaufen fotografieren will, spricht mich ein Belgier an. Er arbeitet in einem Gemeinschaftsprojekt mit der EU und der kambodschanischen Regierung. Ziel ist es, den Waffenbestand im Land zu kontrollieren.

Bisher haben Soldaten ihre Dienstwaffe selbst verwahrt und mit nach Hause genommen. Nun wurden alle Wafen registriert und die Verwahrung organisiert. Die überzähligen Waffen werden jetzt verbrannt. Als nächstes sollen Waffenverstecke auf dem Land geräumt werden. Wir treten ein paar Schritte zurück, als das Feuer entzündet wird und Musik aus den Lautsprechern tönt. Für mich ist das ein bewegender Moment. Dieses Land hat so wahnsinnig gelitten. Erst seit ca. fünf Jahren ist Frieden zu spüren. Noch immer sind im ganzen Land Minen versteckt. Täglich gibt es zwei Minenopfer. Aber es geht langsam voran. Die Verbrennung der Waffen ist ein Teil der Fortschritts.

Das Landminen-Museum

Über eine Holperpiste gelangen wir zu einem kleinen Grundstück am Fluss, das nur so von entschärften Minen, Bomben und Waffen wimmelt. Ein junger Affe wuselt wie angestochen über das Gelände und besetzt gleich mal unsere Fahrräder. Kurze Zeit später ärgert er die Hunde.

In einer Holzhütte werden zahlreiche fiese Minen präsentiert und erklärt. Einfache Fotoalben zeigen, wie Aki Ra, der Besitzer, beim Entschärfen der Minen vorgeht. Zeitungsartikel und andere Texte informieren über die Geschichte von Aki Ra und seinem Museum. Die Lektüre schockiert. Was hat dieser Mann mit seinen gerade mal 30 Jahren schon Schreckliches erlebt. Als kleiner Junge wurde er durch die Roten Khmer von seinen Eltern getrennt. Beide Eltern wurden wegen Nichtigkeiten umgebracht. Da war er fünf Jahre alt.

Die Roten Khmer erzogen ihn und rekrutierten ihn als Soldat im Alter von zehn Jahren. Als die Vietnamesen das Land besetzten, stellten sie ihn vor die Wahl, für sie zu kämpfen oder zu sterben. Später kämpfte er in der kambodschanischen Armee gegen verschiedene Bürgerkriegsarmeen.

Erst als die UNTAC 1992 ins Land kommt, ändert sich sein Leben. Bis dahin bestand es aus einer Aneinanderreihung von Grausamkeiten. Gewalt und Tod waren alltäglich. Durch die Zusammenarbeit mit der UNTAC lernte er,dass es auch friedliches Leben geben kann. Bisher lebte er im Dschungel. Dann sah er das erste Mal eine Straße, dachte es sei ein Berg, der in die Stadt wächst. Ein UN-Hubschrauber hat ihm sogar Angkor Wat von oben gezeigt. Nun fing er an, Minen zu räumen. Teilweise die, die er selbst gelegt hat. Und er fing an, alle möglichen Kriegsgeräte zu sammeln und auszustellen. Fünf Kinder, die Opfer von Landminen geworden sind, leben bei seiner Frau und ihm.

Zurück nach Thailand

So, 29. Juni 2003, wir verlassen Siem Reap und radeln Richtung Thailand. Nach 37 Kilometern endet der Asphalt und es geht auf holpriger, staubiger, roter Piste weiter. Die Knochen werden durchgeschüttelt und vorbeifahrende Fahrzeuge hüllen uns in dichte Staubwolken. Wenn ein Taxi in vollem Karacho auf uns zurast, kommen mir Fernsehbilder von der Rallye Paris – Dakar in den Kopf.

Nur dass die PKWs und Pick-ups völlig überfüllt sind. Ein hinten am Pick-up drangeschnürtes Moped scheint fast schon obligatorisch.

Oft sitzt dann jemand auf diesem Moped. Wenns sein muss auch drei. Und wenn auch dort kein Platz mehr ist, fährt man auf dem Dach oder der Motorhaube sitzend mit. Der alltägliche Stunt! Doch auch den Leuten scheint das Risiko bewusst. Erstaunlich viele tragen einen Motorradhelm. Wir holpern über die Piste. Ausgepowert, verdreckt und beim allerletzten Tageslicht erreichen wir nach 108 Kilometern Sisophon.

Am nächsten Tag gehts durch die gesichtslose, schmutzige Straßenstadt Poipet zur Grenze. Schon von weitem ist die Grenze durch übergroße Gebäude zu erkennen. Hier gibt es etliche Casinos für die reichen Thailänder. Denn Casinos sind in Thailand verboten. Die Formalitäten können wir reibungslos erledigen. Naja fast, Claudias Hand zittert durch das Geschüttel der letzten Tage so sehr, dass sie kaum das Formular ausfüllen und unterschreiben kann. Aus dem Büro des thailändischen Beamten empfängt uns die altbekannte, weiche Popmusik.

Zwischenstopp in Bangkok

Die, 1.Juli 2003, heute sind wir genau 9 Monate unterwegs. Damit ist die erste Hälfte unserer Reise vorbei. Wir kaufen kräftig Proviant und ein klebriges pinkfarbenes sektähnliches Getränk und feiern. Mit dem Zug fahren wir von Aranya Prathet nach Bangkok, um dort unsere Weiterreise zu planen.

Bei der Zimmersuche in Bangkok spricht uns Peter Smolka an. Vor drei Jahren ist er mit dem Fahrrad in Nürnberg gestartet. In einem Jahr möchte er wieder Zuhause sein. Alles über seine Reise gibts unter www.lemlem.de. Wir treffen uns oft und quatschen und trinken den Leo-Bestand unseres Lieblingsrestaurants leer. Doch Peter kann uns nicht überzeugen, nach Deutschland zurückzufliegen, um seine Filme in Sicherheit zu bringen. Wie also weiter? Auf welchem Weg nach Südamerika? Ein Blick auf den Globus hilft.

Mitten im Pazifik liegen die Inseln von Hawaii, quasi auf halber Strecke von Asien Richtung Amerika. Und in Spokane (Washington State) wohnen unsere Freunde Astrid und Scott. Also doch rum um den Globus? Irgendwie schon reizvoll. Wir kaufen ein One-way-ticket Richtung Seattle mit Stopover in Honolulu.

Bei einem Zwischenstopp in Tokyo haben wir ein paar Stunden Zeit. Also mal kurz in die Stadt fahren und Tokyo-Luft schnuppern? Aber bei den Preisen für die Bahnfahrt bekommen wir eher Schnappatmung und entscheiden uns für das Herumlugern im Flughafen. Immerhin können wir Sumo-Ringer am Bildschrim bewundern