Bolivien


Bolivien > Titikaka See – La Paz – Santa Cruz


Gaskrieg

Es heißt, in Bolivien ist immer etwas los. Demos sind an der Tagesordnung. Doch Mitte Oktober 2003 gab es außergewöhnlich heftige Unruhen mit Straßenblockaden, Bomben und blutigen Militäreinsätzen. Mehr als 80 Menschen kamen dabei ums Leben. Auslöser war die Diskussion um bolivianisches Erdgas. Es sollte über Chile in die USA exportiert werden. Viele Bolivianer sahen darin einmal mehr eine imperialistische Ausbeutung ihrer Rohstoffe. Aus Erfahrung haben sie Angst, dass wieder nur wenige Korrupte ein Geschäft machen und für sie und ihr Land nichts übrigbleibt. Die Unruhen führten zum Rücktritt des Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada. Der neue Präsident Carlos Mesa hat nun 90 Tage Zeit, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Jetzt soll es erstmal ruhig sein im Land.

Uwe, 26.Oktober 2003: So ist auch der Grenzübergang nach Bolivien am Titikakasee wieder offen. Durch nette, hügelige Landschaft radeln wir rauf und runter nach Copacabana. Die kleine Stadt liegt direkt am See und ist ein wichtiger Pilgerort, leicht erkennbar an der überdimensionalen Kirche.

Verehrt wird die schwarze Madonna. Und die hilft wohl auch bei materiellen Wünschen. Oben auf dem Hügel Cerro Calvario gibt es Miniaturen von Häusern, Autos, Geldscheinen und sogar ein Mini-Diplom zu kaufen, Gegenstände, die in einer feierlichen Zeremonie gesegnet werden.

Durch grüne Hügel radeln wir zwischen dem kleinen und dem großen See. Die kleine Seeenge bei San Pablo überschiffen wir auf einer wackligen Fähre. Als es dunkel wird, erreichen wir das Dorf Jankho Amayo.

Senor Quispe-Quispe hat noch ein Zimmer frei

Der Name ist ein echter Zungenbrecher, hier spricht man Aymara. Wir fragen mit Händen und Füßen ein paar Leute im Dorf. Jose Quispe-Quispe zeigt uns schließlich ein bisschen zaghaft eine Rumpelkammer über seinem Kiosk. Ihm scheint es unangenehm zu sein, uns hier unterzubringen. Aber als wir seine herrlichen Brötchen loben, freut er sich und lächelt freundlich. Noch lange hören wir Kinder verzweifelt auf der Flöte üben. Ansonsten ist nichts los in dem Dorf. Am nächsten Morgen blöken schon früh die Esel. Wir brechen auf. Es ist saukalt.

Heute verlassen wir den Titikaka See und radeln lange über den Altiplano, der großen weiten Hochebene, nach La Paz. Schneeberge, die Königs-kordilleren, luken ab und zu aus den Wolken heraus. Eine tolle Landschaft.

Zeugen des Chaos

umgestürzte Fußgängerbrücke in El Alto

Ungefähr 20 Kilometer vor La Paz passieren wir eine Zahlstelle. Sie ist völlig zerstört. Die Mauern sind eingebrochen, kein Fenster ist mehr ganz und geschwärzte Wände zeugen von Feuer. Folgen der Unruhen vor 14 Tagen. Am Straßenrand liegen auffällig viele Autowracks, manche älter, manche jünger. Als wir durch El Alto, der großen Vorstadt hoch über La Paz, radeln, sehen wir mehrere umgestürzte Fußgängerbrücken. Wir erfahren, dass die Leute das anrückende Militär davon abhalten wollten, von dort oben auf die Demonstranten zu schießen.

La Paz, höchste Großstadt der Welt

Mit Donnergrollen kündigt sich ein Gewitter an. In langen grauen Streifen nähert sich der Niederschlag. Gerade noch rechtzeitig stellen wir uns unter die Markise einer Bäckerei, da geht es auch schon mit Karacho los. Es wären gerade noch knapp 2 Kilometer bis ins Zentrum gewesen. Stattdessen schauen wir zu, wie die Straßen von Hagelkörnern übersät werden.

Vorsicht Diebe! Die Verkäuferin warnt uns vor zwei Typen. Und tatsächlich linsen die beiden auf unser Gepäck und verfolgen uns, als wir weiter fahren. Aber wir sind schneller und rutschen durchs Verkehrschaos die steilen Straßen ins Zentrum hinab. Claudia sieht noch, wie einer der beiden ein Messer wegsteckt.

La Paz ist eine riesige Stadt, eingekesselt zwischen Schneebergen und Puna. Der erste Blick runter auf die Stadt ist besonders beeindruckend. Auch in La Paz sehen wir Spuren der Unruhen, ausgebrannte Gebäude und Einschusslöcher in den Wänden. Die Stadt strotzt von waffentragenden Wachmännern, die ihre schweren Waffen demonstrativ halten, als wären sie beim Fototermin für den neuesten Rambo-Film. Harmloser sind die mit den grellen Westen. Lebendige Telefonzellen. Zur Sicherheit ist das Telefon angekettet an die Westenfrau oder den Westenmann.

Und es gibt noch mehr Dienstleistungen in den Straßen. Vor den Behörden sitzen zahlreiche Männer und Frauen mit Tischen und Schreibmaschinen. Hier kann man gleich seinen Behördenbrief aufgeben. La Paz ist auch vielfältig. Frauen im Minirock gehören genauso zum Alltagsbild wie die typisch gekleideten Chola-Frauen, die manchmal auf dem Gehweg hockend ihre Kinder stillen.

Volksdroge Coca

Der Regen treibt uns ins Coca-Museum. Coca gehört zur bolivianischen Kultur. Die Coca-Blätter werden schon seit Jahrtausenden genutzt, vornehmlich von den Indigenas. Sie gehören zu ihren Zeremonien, um die Zukunft vorherzusagen oder einfach um beim Arbeiten drauf rumzukauen. Mit der Kolonialisierung sind auch die Europäer auf die Pflanze aufmerksam geworden. Zunächst hat man den Nutzen für die Arbeitskraft der versklavten Einheimischen geschätzt, viel später den medizinischen Wert erkannt und die Pflanze als Betäubungsmittel eingesetzt. Irgendwann kam dann die Herstellung von Kokain als Droge hinzu und seit ca. 1950 ist durch eine Genfer Konvention der Anbau und Konsum von Coca verboten.

Damit ist ein wichtiger Teil der Indigena-Kultur quasi illegal, was an sich schon bedenklich ist. In den USA gibt es die meisten Kokainabhängigen. Regelmässig fliegt nordamerikanisches Militär mit Hubschraubern in den bolivianischen Dschungel, um den Bolivianern zu „helfen“, das „Cocaproblem“ zu lösen. Es wird ein regelrechter Drogenkrieg geführt. Felder werden zerstört und Coca-Händler verfolgt. Damit wird auch die Lebensgrundlage der Bauern zerstört, die die Pflanze lediglich für den traditionellen Konsum (Blätter kauen, Tee, Medizin) anbauen. Absurderweise stammen die Chemikalien, die für die Herstellung von Kokain benötigt werden, aus der sogenannten „Ersten Welt“. Ein heikles Thema, das wir nicht so richtig einschätzen können. Allerdings zweifeln wir, ob Verbot und Kampf gegen den Coca-Anbau das Drogenproblem in den USA löst. Hält es einen Drogensüchtigen davon ab, drogensüchtig zu werden? Außerdem ist der Mate de Coca einfach nur Tee, harmloser als Kaffee.

Bunt in den Bergen

Claudia: So, 2.11.03, heute ist „Todos los Santos“ oder Allerheiligen. Statt still und stumm ein Kerzchen anzuzünden feiern die Aymaras mit ihren Verstorbenen auf dem Friedhof. Raus aus La Paz Richtung Cochabamba radeln wir durch Dörfer, in denen ganze Karawanen von Großfamilien, bepackt mit Six-Paks bunter 3-Liter-Flaschen Limonaden, großen Suppentöpfen und auch Bierkisten gen Friedhof ziehen.

Uwe: Zwei Tage radeln wir durch die Weite des Altiplanos. In der Ferne unspektakuläre Hügel. Nur der Vulkan Sajima, mit 6.520 Metern Boliviens höchster Berg, ragt deutlich heraus. Es ist kalt und windig. Viele kleine und größere Windhosen sausen über die Graslandschaft.

Dann tauchen wir wieder ein in eine steilere Berglandschaft. Jetzt geht es nochmal rauf. Vom Pass auf 4.500 Metern Höhe können wir nochmal den Sajima auf der anderen Seite des Altiplanos sehen. Ganz klein, ungefähr 200 Kilometer Luftlinie entfernt.

Claudia: Ein Pass, noch ein Pass, dahinter noch einer. Es will und will nicht richtig bergab gehen. Zur Abenddämmerung kommen wir in ein kleines Dorf, das immer noch auf 4.300 Metern liegt. Wo können wir übernachten? Wir werden an die Schule verwiesen. Bald schon finden wir den Kerl, der die Schlüsselgewalt hat und eine Glühbirne für den Raum. Uwe beginnt, draußen auf dem Schulhof zu kochen. Das zieht Leute an. So haben wir zwei kleine Kinder und ein paar traditionell schick gewandete, aber ganz schön schüchterne Jünglinge um unseren Kochtopf.

Wir dürfen in der Schule übernachten

Eins der Kleinen hustet ständig. Leider ist es das vorwitzigste und immer besonders dicht an unserem Topf. Da nützt auch Uwes Hin- und Herstellen des Kochers nix. „No tos en mi comida“, kein Husten in mein Essen, sagt Uwe, doch während alle anderen zu verstehen scheinen, hustet der Kleine munter weiter und Uwe bemüht sich, den Deckel rechtzeitig auf den Topf zu werfen. Der Junge versteht nichts. Vermutlich spricht er Aymara als erste, Quechua als zweite Sprache und ist noch zu klein für Spanisch.

Roxanna ist Aymara-Lehrerin an der Schule. Die Kinder wachsen hier tatsächlich dreisprachig auf. Das ist enorm. Sie müssen doch Super-Sprachtalente sein. Roxanna bringt uns Chicha Morada, ein Getränk aus rotem Mais. Auch ihr Kollege hat auch noch eine Überraschung für uns. Er zieht plötzlich hinter seinem Rücken ein rohes rotes Stück Fleisch hervor, um es uns unters Gesicht zu halten. Wir lehnen diese Bereicherung unseres Essens ab, mit der Begründung, Vegetarier zu sein.

Nein danke, wir essen nur Gemüse, beteuern wir. Uwe blickt in unseren Kochtopf und sagt „…und Thunfisch“, angesichts der Sardinen-Typ-Thunfisch-Tomatenmark-Nudel-Pampe in unserem Topf.

Schicker kicken

Vor unserem Klassen(Schlaf-)raum treffen sich am Abend die Kinder und Jugendlichen des Dorfes, um zu kicken. Wir staunen und staunen, in welcher ultraschicken Aufmachung die Jungs hier Fußball spielen. Manche haben bunte Mützen auf, die wohl einen Meter hochragen. „Schlecht zum Köpfen“ ist Uwes Kommentar, doch wer schick sein will, der tritt. Die schwarzen Hosen sind an der Seite bestickt, die Westen haben breite, bunte Stickereien vorne und schmale auf dem Rücken. Von den Mützen und manchmal auch Mütze-Filzhut-Kombis bimmelts und plümmelts nur so runter.

Am nächsten Tag gehts bunt weiter. Wir radeln raus aus dem Dorf. Ein bunt bekleideter Mann kommt uns auf der anderen Straßenseite entgegen gelaufen. Ich denke noch, der Tourifilm geht weiter, der sieht ja schon wieder aus wie aus einem Katalog für traditionelle Festkleidung. Er kommt näher und … spielt auch noch auf einer Charango, einer kleine Gitarre aus einem Gürteltierpanzer hergestellt. Später sehen wir noch so einen schicken Kerl charangospielend durch die Puna laufen.

Plata

Aber leider bleibt der Tag nicht so bunt. Es wird trostlos. Kinder und auch Erwachsene rufen „Plata!“ (Geld), wenn sie uns sehen. Kein Gruß, kein Lächeln, nur Plata. Wir wundern uns über die vielen scheuen Hunde, die fast schon in regelmäßigem Abstand an der Straße liegen. Als hätten sie zu ihrem Herrchen gesagt, „ich gehe mal ein bisschen zur Straße und schau, was da los ist, mir ist langweilig“. Dann sehen wir ein kleines, vielleicht achtjähriges Mädchen mit ein paar Schafen am Straßenrand. Als ein Auto näher kommt, hebt es die Hand. Es will doch hier nicht mitgenommen werden? Nein, der Autofahrer weiß offensichtlich, was es will. Ein Brötchen fliegt aus dem vorbeifahrenden Auto raus. Das Mädchen hebt es auf. Das ist unglaublich deprimierend. Wohl deshalb liegen auch die vielen Hunde an der Straße. Sie warten, ob ein paar Essensreste aus den Autos abfallen.

Uwe: Jetzt aber runter. Innerhalb von knapp 100 Kilometern gehts von 4.500 Metern auf ca. 2.500 Meter runter. Unterwegs ziehen wir immer mehr Klamotten aus. Die Berghänge sind weiterhin trocken. Aber plötzlich sausen wir mit viel Schwung über eine Flussbrücke. Die Abfahrt hat ein Ende. Um uns herum in der Talebene grüne Felder, die mich an die Reisfelder Asiens erinnern. Seit drei Monaten das frischeste Grün das wir sehen. Und endlich wieder Vogelgezwitscher.

Amputiert

Claudia: Weils endlich so schön bergab geht, schaffen wir es heute bestimmt noch bis Cochabamba, denken wir, und treten in die Pedale. „Warum begrüßt uns jede Stadt in Südamerika mit Regen“, beschwere ich mich, als wir uns unter ein Wellblechdach stellen.

Da kriege ich einen Schreck und gucke und gucke und glaube es nicht: Eine Vorderrad-Tasche fehlt. Das Rad sieht aus wie amputiert. Das gibts doch gar nicht. Sie kann doch nicht abgefallen sein, ohne, dass ich es merke! Und die letzte Pause war vor 30 Kilometern. Ich kann doch nicht 30 Kilometer mit nur einer Vorderrad-Tasche gefahren sein!? Doch, ich kann. Schnell ist klar, dass die Tasche wohl noch beim Truckstop steht, an dem wir die letzte Pause gemacht haben. Na großartig.

Wir quartieren uns in einem Alojamiento ein, fahren mit einem Kombi zurück. Am Truckstop ist noch jemand da. Zum Glück. Wir zeigen unsere verbliebene Tasche. Das Mädchen versteht sofort, schaut sich um und zieht hinter einem großen Sack meine zweite Tasche hervor. Puh! Ich könnte sie küssen. Es sind eben doch nicht alle Südamerikaner Räuber!

Wenn nur noch drüber geredet wird

Es wird viel geredet. Geredet über „unsere Kulturen, unsere Sprachen, unsere Musik“. Es gibt auch eine Bühne. Aber auf der passiert nicht viel. Wo ist die Musik? Gesprochen wird Spanisch. Und dann sind da noch die von „Kilometer 125“. So heißt das Dorf in den Anden, aus dem sie kommen. Deutlich dunklere Hautfarbe und traditionell gekleidet, weisen sie sich als „echte“ Idigenas aus. Sie sitzen etwas verlegen und verloren hinter ihrem Stand über traditionelle Dinge für das Fest „Todos los Santos“.

Die beiden von „Kilometer 125“

Wir sind auf einem Fest in Tiataco, in der Nähe der Stadt Cochabamba. „Ueber das Leben und den Tod“. Und sie reden weiter. Ueber die Traditionen des Festes „Todos los Santos“, das Gebäck, die Süßigkeiten für die verstorbenen Seelen. über die Feier. Aber es feiert keiner so richtig. Keiner tanzt. Da sind Essenstände und Eimer mit Chicha und anderen Getränken. Verlust der Kulturen, der Sprachen, der Musik? Wenn nur noch drüber geredet wird?

Es gilt, mit den Füßen den Korb zu ergattern

Eine Ausstellung. Eine Lehrstunde für die Städter über die bunten Traditionen des Hochlandes, die „schützenswert“ und „erhaltenswert“ sind. So muss ich es wohl sehen. Und vielleicht baut diese ja auch die Spannungen zwischen den Städtern und den Campesinos ab. Trotzdem tun sie mir leid, die vier, von Kilometer 125. Vielleicht hätten die Veranstalter ein paar mehr Indigenas in die Organisation einbeziehen oder auf die Gästeliste setzen sollen?

Doch immerhin: Eine Tradition lebt in und um Cochabamba. Im November werden überall große Schaukeln aufgebaut. Und so gibt es auch hier gleich zwei davon. Eine Frau schaukelt und wird von zwei Männern in Schwung gebraucht, bis sie an einem großen Gerüst hängende Körbe mit den Füßen erreichen kann und es ihr gelingt, einen der Körbe zu ergattern.

Städter und Campesinos

Cochabamba liegt auf halber Strecke zwischen Hoch- und Tiefland. In Cochabamba trifft arm auf reich. Während Uwe einkauft, bewache ich die vollbepackten Räder. An der Straßenkreuzung bettelt ein altes Paar. Ihrer Kleidung nach kommen sie vom Altiplano. Wohl weil sie dort kein Auskommen mehr haben, mussten sie „runter“ in die Stadt, um sich hier mit Betteln über die Runden zu halten. Wer kauft schon handgefertigte Lamasachen wenn es billige Industrieprodukte gibt. Ich würde ihnen gern etwas geben, aber Uwe hat das Geld zum Einkaufen. „Un momentito“ sage ich zu ihm und bin froh, als ich ihnen endlich was geben kann.

Es ist auch in Cochabamba, wo ich eine junge Frau – vielleicht Mitte 20 – beobachte. Sie haut mit ihrem Kugelschreiber auf den Filzhut einer Bettlerin. Dann kippt sie noch den Becher der Bettlerin von einem Sims. Doch die Indigenas sind nicht alle wehrlos. In Cochabamba sehen wir eine Demo. Viele Campesinos laufen durch die Straßen. Auf den Schildern lesen wir immer wieder das Wort „Korruption“. 70 Prozent der Bolivianer sind Indigenas. In den machthabenden Positionen sind sie jedoch kaum zu finden. Hier sitzen weiße Europaer oder Mischlinge. Korruption ist in Bolivien ein großes Problem. Das Geld wird nicht gerecht verteilt.

Immer noch Berge, Berge, Berge … und Regen

Uwe: Wir beschließen, weiter Richtung Santa Cruz zu fahren. Runter, denn Santa Cruz liegt im Tiefland auf ca. 250 Metern. Aber von wegen „Runter nach Santa Cruz“. Bald steigt die Straße wieder an, durch karge Berglandschaft. Die nächsten beiden Nächte zelten wir in der Nähe von kleinen Höfen. Und dann kommt der Regen. Die Piste verwandelt sich in eine dicke, glitschige Schlammmasse. Der Nebelwald macht seinem Namen Ehre. Wir sind in dichte weiße Wolken gehüllt. Die steilen Hänge am Rand der Straße können wir nur ahnen. Claudia rutscht aus und wirft sich in den Schlamm. Igitt, auf der rechten Breitseite klebt jede Menge Dreck, so dass sie nun kleine Adobelehmhäuser auf ihren Taschen bauen kann.

In Valle Esperanza – dem „Tal der Hoffnung“ – steht ein Truck. Sehr verlockend, denn vor uns liegt schon wieder ein fieser gemeiner Pass. Wir laden ein und stehen bald inmitten von Kartoffelsäcken. Dann geigt die Karre noch durchs Dorf, um allerlei Sachen aufzuladen. Aber schon nach einer Stunde Fahrt sind wir auf dem 3.000-Meter-Pass. Immer wieder führt die Straße durch grünen Wald. Plötzlich wird wird die Strecke richtig spektakulär. Da müssen wir raus. Bajo! Bajo! Runter! Runter! Wir steigen spontan ab und genießen eine Traumaussicht. Soweit das Auge reicht tropischer Wald an steilen Hängen.

Stachelig und wüst

Kaum 50 Kilometer weiter und 1.000 Meter tiefer sehen wir uns schon wieder von übergroßen Gewächsen umgeben, diesmal Kakteen. Nicht nur die Größe von bis zu 10 Metern, sondern auch die Weite der Kakteenlandschaft beeindruckt. Die bizarren Silhouetten der stacheligen Giganten auf den Hängen über uns lassen unwillkürlich Wild-West-Stimmung aufkommen.

Kampf mit der Schwerkraft

Wir machen einen Abstecher in den Nationalpark. Unspektakulär, aber ganz nett rollen wir nach Mairana…und nehmen gestärkt und mit viel Proviant versorgt am frühen Nachmittag den Anstieg nach La Yunga in den Amboro-Nationalpark in Angriff. Schon bald zeigt der schmale, unbefestigte Fahrweg seinen fiesen Charakter. Es wird supersteil, an manchen Stellen 15 Prozent. Dazu viele Steine und Stellen mit Sand. Mist, dabei sind die Fahrräder gerade jetzt so schwer. Oft gehts nur noch schiebend. Ein ständiger Kampf mit der Schwerkraft.

Wo sich die Berge mit dem Dschungel treffen, wachsen die Farne auf Bäumen. Am nächsten Tag bestaunen wir die riesigen Baumfarne und den Nebelwald.

Erbarmungslos gehts dahin erst mal wieder bergauf, aber diesmal steht unser Gepäck bei Samuel von der Naturparkverwaltung. Wir radeln und wandern zwischen moosüberwucherten Bäumen und großen Baumfarnen hindurch. Die Wolken sausen um uns herum, als wir durch den märchenhaften Wald spazieren. Immer wieder fliegen laut kreischend grüne Papageien an uns vorbei. Kolibris schwirren elegant von Blüte zu Blüte.

Claudia: Die Laguna Volcano liegt 2,5 Kilometer von der Haupstraße nach Santa Cruz entfernt. Erneut quält uns eine fiese, steile Piste. Aber es lohnt sich. Auf uns wartet eine riesengroße Picknickwiese mit Palmen und einer Lagune in der Mitte und Ausblick auf eine atemberaubende Landschaft von Sandsteinfelsen, die aussehen wie Vulkane.

Auf der Suche nach dem lachenden Bolivianer

Bolivien ist eines der traditionellsten Länder Südamerikas, sehr dünn besiedelt und landschaftlich unglaublich beeindruckend und vielseitig. Doch bei all der alten und bewahrten Kultur und den Traditionen sind uns bisher zwei Dinge nicht so oft begegnet: Die Gastfreundschaft und das Lachen. Die Mehrzahl der Bolivianer begegnet uns grimmig und verschlossen. Das macht es nicht leicht, Bolivien zu verstehen.

Bolivien ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die wenigen Reichen sind weiß, die Mehrzahl ist dunkelhäutig und arm. Auch das macht sauer und traurig. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass die Indigenas uns Weiße nicht immer willkommen heißen. Im Tiefland wird er sein, der lachende Bolivianer. Sonne, Palmen, … das muss sich doch positiv aufs Gemüt auswirken.

Ende der Anden

Uwe: 60 Kilometer vor Santa Cruz de la Sierra sehen wir eine Lücke in der Hügelkette vor uns. Hier hören die Anden auf. Fast eben rollen wir nach Santa Cruz. Es ist total warm. Die Straße ist jetzt permanent gesäumt von Feldern und Siedlungen. Wir drehen uns nochmal um. Das letzte mal sehen wir die Silhouette der steilen Andenhügel in der Ferne. Jetzt sind wir unten im bolivianischen Tiefland.