Brasilien > Foz de Iguacu und Parana
Uwe: Nach kurzem Aufenthalt in Paraguay sind wir froh, zum Jahreswechsel wieder in Brasilien zu sein. Die Stadt Foz de Iguacu ist zwar mit ihren sterilen Geschäftsstraßen und den glänzenden Hochhäusern nicht unser Geschmack. Aber die Wasserfälle sind ein echter Hammer.
Zum Heulen
Mit Zahlen lassen sich die Wasserfälle nur für Mathematiker beschreiben. Wem sonst sagt es was, ob jetzt 300 Kubikmeter oder doch 3000 pro Sekunde herunterkommen. Es ist jedenfalls viel. Nein, noch viel mehr… Unglaublich viel. Und sind es jetzt 100 einzelne Wasserfälle oder doch 300? Egal. Auf zwei bis drei Kilometern Länge tosen die Wassermassen. Dazwischen kleine und größere Inseln mit üppiger Vegetation. Oder Terrassen, wenn sich das Wasser nicht traut, 90 Meter auf einmal zu fallen. Ein Weg führt weit hinaus auf eine solche Terrasse. Hinter uns ein gigantischer Wasservorhang und wenn wir uns über das Geländer beugen, sehen wir das Wasser weitere 40 bis 50 Meter hinunterfallen. Ist es die allgegenwärtige Gischt, die meine Augen glasig machen? Nein, das hier ist so überwältigend, dass ich heulen muss.
Wasserfälle zum Anfassen
Am nächsten Tag besuchen wir die Wasserfälle von der argentinischen Seite. Andere Blickwinkel, andere Aussichtspunkte, andere Höhepunkte.
Nachdem wir schon am Vortag die Schnellboote von oben beobachtet haben, ist für uns klar, das machen wir auch. Dabei kommt man auf Tuchfühlung mit den stürzenden Wassermassen. Jetzt sind wir mitten in diesem brodelnden Wassertopf. Vor uns scheint gerade ein Staudamm gebrochen zu sein. Und auch rechts und links von uns kommt reichlich Wasser runter. Der Pilot gibt Gas. Dann sehen wir nichts mehr, nur noch Gischt. Das Wasser lärmt donnernd. Zurück, nochmal vor.
Dann gehts im Höllentempo an eine andere Stelle. Wieder das gleiche Spiel. Abstand halten, gucken, staunen, Gas geben, rein. Der Pilot fährt fast bis an die Felswand. Wir sitzen ganz vorn und werden von einem kleinen Wasserfall richtig abgeduscht. Und zurück. Und nochmal. Nach 15 Minuten ist die Show vorbei und wir sind klatschnass. Macht nix. Im Sonnenschein spazieren wir auf dem weitläufigen Gelände von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt.
Der Teufel muss viel Durst haben
Ein anderer Höhepunkt ist die “Garganta do Diabolo”, der Teufelsschlund. Ein Weg auf Stelzen führt über einen Kilometer lang über die weite, friedliche Fläche des Iguacu-Flusses. Das Wasser hat noch keine Ahnung, was ihm bevorsteht. Dann kündigt eine Gischtfahne den Schlund an. Die Gischt ist es auch, die den Blick auf den Grund des Schlundes versperrt. So wird es wohl ein Rätsel bleiben, wie so unglaublich viel Wasser da unten klar kommt. U-förmig bricht der Boden unter dem Fluss ab. Das Wasser kommt aus fast allen Richtungen.
Schwalben sausen durch die Gischt und extrem dicht an den Wasserfällen vorbei. Sie nisten offenbar am senkrechten Fels. So weit trauen sich die großen weißen Reiher nicht ran. Majestätisch, mit langsamen Flügelschlägen steuert immer wieder einer auf den Schlund zu, scheint dann aber einen Sitzplatz in einiger Entfernung vorzuziehen.
Alles Soja
Claudia: Uwe unterhält sich mit Leandro, einem brasilianischen Radler über mögliche weitere Routen. “Da ist alles Soja” höre ich immer wieder. Es scheint egal zu sein, in welche Richtung wir weiterfahren. Und es scheint zu stimmen.
Dazu ist die Landschaft sehr hügelig, zum Teil recht steil. Dadurch haben wir zwar oft eine unglaubliche Fernsicht. Aber zu sehen gibt es nur Soja und Mais. Mich erinnert die Landschaft manchmal ein bisschen an die Toskana oder an Deutschland. Kulturlandschaft.
In Paraná, dem brasilianischen Staat, durch den wir gerade radeln, gibt es besonders viele europäische Einwanderer, auch viele Deutsche. Erst die Mennoniten in Bolivien und jetzt diese riesigen brasilianischen Monokulturen – ich frage mich, ob die Deutschen ein Ackerbau-Gen haben. Mit deutscher Gründlichkeit wird alles ausgeräumt und ein schönes sauberes Feld errichtet. Da haben wir im bolivianischen Tiefland über die Haziendas geschimpft, die den Urwald vernichten. Das sind ja ökologische Oasen im Vergleich zu diesen riesigen Monokulturen. Und wozu das ganze Soja? Womöglich Viehfutter für europäische Überproduktionen.
Plötzlich schreit Uwe auf “Cascavel, da ist Cascavel, hast du das gesehen”. Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht. Doch auf dem nächsten Hügel seh ich es auch. Am Horizont der Sojafelder tauchen plötzlich große Hochhäuser auf, noch weit in der Ferne. Was ist denn das für eine Skyline? Eine Großstadt? Was machen denn diese Hochhäuser inmitten der Sojafelder. Die Brasilianer bauen gern große Häuser.
Und der Süden von Brasilien ist recht reich. So erwarten uns statt Slums auch Jogger, Geher, Radler vor der Stadt. Auf einem großen breiten und begrünten Mittelstreifen zwischen zwei mehrspurigen Straßen wird gesportelt und trainiert. Bald schon habe ich einen der Sportradler neben mir herradeln, bis wir ihm zu langsam sind und er davon braust.
Pressetermin
In Cascavel stoppt uns ein Mopedfahrer. Er arbeite für die Zeitung “Gazeto do Paraná”, ob er uns kurz interviewen könne. Der Mann auf dem Moped heißt Julio Cesar. “Hätte ich eine Schwester, hieße sie Kleopatra. Mein Vater mag die Römer” schmunzelt er. “Muito couragem” sagt er zu unserer Radtour, das hören wir in Brasilien oft. Seinen Lesern will er zeigen, dass man so was machen kann, mit dem Fahrrad reisen. Drei Tage später in Campo Morao finden wir tatsächlich ein Foto und einen Zweizeiler über uns in der Zeitung.
Auf unserer Strecke von Foz do Iguacu bis Campo Morao, 450 Kilometer, unten rum, oben rum, neben den großen Straßen wie neben den kleinen Straßen, rechts und links und überall Soja, ein bisschen Mais und ab und zu – welch Freude – ein kleines Stückchen Wald.
Noch mehr Soja!
In Campo Morao treffen wir den Agrarstudenten Alexandre. „Soja sei gut“, meint er. „Im nächsten Jahr wird Paraná noch mehr Soja produzieren, es gäbe noch ungenutzte Flächen.“ Oje, armes Land, armer Boden. Und er setzt noch einen drauf „Alle, die Soja anbauen, sind reich, fahren importierte Autos.“ Ja ja, die Autos, und die schönene Straßen. Tudo asfalto – alles Asphalt – haben schon die Bolivianer mit leuchtenden Augen geschwärmt, wenn sie hörten, dass wir nach Brasilien fahren. Für uns bedeutet das nicht unbedingt das große Radlerglück, denn wo Asphalt auf importierte Autos trifft, da wird gerast. Lebensbedrohlich.
Wir wollen jedenfalls raus aus der Welt der Monokulturen und fahren eine Nacht lang Bus Richtung Nordosten. Um 7.30 Uhr steigen wir in São Jose dos Campos aus, zwischen Sao Paulo und Rio de Janeiro. Jetzt trennen uns nur noch knapp 100 Kilometer von der atlantischen Küste.
Endlich am Meer
Uwe: Ca 20 bis 30 Kilometer vorher wird der Wald dichter. Schilder weisen auf atlantischen Regenwald hin. Und tatsächlich stecken wir schon bald in dicken nassen Wolken. Mein Höhenmeter zeigt zwischen 700 und 800 Metern. Kann das sein? Es kann. Hinter einer Kurve zeigt sich zwischen den Wolken eine atemberaubende Küstenlandschaft unter uns. Steil geht es runter nach Caraguatatuba. Willkommen am Atlantik. Jetzt haben wir Südamerika durchquert und sind an der schönen Küste von Brasilien.