Peru


Peru > von Lima nach Ayacucho


Ankunft in Lima

Claudia: 19.8.03, viele Gedanken haben wir uns gemacht. Raus aus dem sicheren Asien, in die räuberverrufenen Länder Südamerikas. Wie wird es werden? „Handle with Care“, sorgfältig behandelt kommen unsere Räder in Lima an. Alles ist da, außer unsere Streichhölzer und Feuerzeuge, die hat der US Security Service herausgeklaut. Sicherheit! Und auch hier in Peru stellen wir fest: Alles ist sicher.

Schutz durch
Kakteen und Glassplitter

Was wollen wir mehr. Schon bei unserer Ankunft in Lima am Flughafen werden wir von Ricardo, dem Taxifahrer in die wesentlichen Dinge eingewiesen. Uwe muss gleich mal den Parkschein lösen. Das Geld immer nachzählen und prüfen. Es könnte falsch sein. Das ist die erste Lektion.

Es ist mitten in der Nacht. Im Garten des Hostels wollen wir noch still und heimlich ein Bier schlürfen, um unsere Ankunft in Südamerika zu feiern, da schmeißt der schüchterne Peruaner extra die Bar an, mit Lichterketten und schmissiger peruanischer Musik. „Salud Peru!“.

Nebel: Über die Hälfte des Jahres grau! Es ist kalt in Lima. Überall werden Mützen, Schals und Handschuhe verkauft. Da greifen wir gleich frierend zu. Die Verkäufer sind längst nicht so aufdringlich wie in Asien und auch verhandelt wird kaum. Andererseits ist es offensichtlich tatsächlich leicht, sein Geld auf andere Art und Weise los zu werden.

Automatisch fangen wir an, unsere Wertsachen in so schicken Bekleidungsstücken wie „Wadentaschen“ und „Schulterbeuteln“ zu transportieren und die Taschen fest zu umklammern. Immer wieder hören wir Geschichten von Leuten, die ausgeraubt wurden. Der Tipp lautet: Einfach alles abgeben, dann kommt man unversehrt davon.

Dennoch ist Lima eine durchaus lebensfrohe Stadt. Es gibt etliche Museen und Galerien und….. seit elf Monaten für uns mal ein richtiges echtes Nachtleben! Je später desto tobt. Die Männer sind Machos, die Frauen sind schön und zeigen stolz der Freundin den neuen Wonder-Bra.

Mit ein paar Einheimischen gehen wir in einen Club mit großer Tanzfläche und Theke. Und Bühne. Immer wieder wird die Dosen-Mukke unterbrochen von afro-peruanischer Live-Musik. Ein typisches Instrument ist eine Kiste mit einem Loch. Auf der Kiste kann man sitzen und gleichzeitig trommeln. Simpel, praktisch, tut. Drei Männer tanzen den Laden ärobicartig ein. Die Menge vor der Bühne wabbert nach rechts und links und schwingt Hüften und Körper gemäss Anleitung von vorn. Und auch wir geben unser Bestes.

Die Stimmung ist super. Als wir zum Hostel zurückgehen, beginnt es schon zu dämmern. Trotzdem lärmt es noch aus vielen Clubs und Kneipen.

Raus aus dem Nebel…

Uwe: Lima ist eine 8-Millionen-Stadt und der Verkehr kein Vergnügen für Radfahrer. Wir wollen mit dem Bus raus aus Lima. Selbst zum Busbahnhof fahren wir mit dem Taxi. Paranoia? Vielleicht, aber glaubwürdig erklärte uns Ricardo, dass an den Busbahnhöfen ganze Gangs warten, um Ankömmlinge ihres Gepäcks zu erleichtern. Durch grauen Nieselregen fahren wir raus aus Lima. Die armseligen Hütten der Vororte in der wüsten Landschaft tragen ihren Teil zum deprimierenden Eindruck bei. Und selbst diese Ansammlungen einfacher Hütten sind oft umzäunt und haben einen Wachturm. Trist und trostlos und frustrierend. Wir fahren an vielen Schutzmauern vorbei. Aber je weiter wir uns von Lima entfernen, desto beeindruckender wird die Wüste um uns herum und desto mehr klart der Himmel auf.

…rein in die Wüste

Gegen Mittag steigen wir in Ica aus dem Bus. Es ist warm und sonnig. Endlich mal wieder. Nach kurzer Radelstrecke erreichen wir die kleine Bilderbuchoase Huacachina. Wir sind von großen Sanddünen umgeben. Mittendrin liegt ein kleiner See mit ein paar Häusern drumherum. Von der grössten Dünehaben wir einen weiten Blick über die Sandwüste und bewundern die scharfen Schatten in der Dünenlandschaft.

Do, 28.8.03, jetzt geht’s mit dem Rad auf die Panamericana. Die Wüste um uns herum ist richtig wüst. Sand, Steine, in der Ferne die Anden. Wir sehen kaum noch Häuser. Nach knapp 90 Kilometern Wüste erreichen wir Pisco. Graue, hässliche Straßenzüge bestimmen unseren ersten Eindruck. Aber im Zentrum überrascht uns der Ort mit netten Plätzen und sogar einer Fußgängerzone.

Pärchen halten Händchen, knuffeln und hocken auf den Bänken herum. Auch nachts sind viele Menschen unterwegs. Morgens dauert es hingegen eine Weile, bis sich die Straßen wieder füllen. Der Lebensrhythmus ist ganz anders als in Asien.

Arriba, arriba – von 0 auf 4750 m

Sa 30.8.03, Arriba heißt „rauf“ und das hören wir die nächsten Tage öfter. Mit massig Proviant geht es in die Berge. Wir freuen uns, sind aber auch nervös. Wie kommen wir mit der Höhe klar? Wo können wir übernachten? Ist die Straße wirklich sicher. Unterwegs grüßen und winken viele Leute freundlich. Die Landschaft jedoch bleibt trostlos.

Im Dunst zeigen sich nur die Berge in der nahen Umgebung. Sie sind trocken und vereinzelt ziehen sich Sandbänke durch die Felsen wie kleine Gletscher.

Claudia: Mo, 1.9.03, Steine, Steine, Steine, kahle Berghänge und Lehmziegelhäuser. Auch heute bestimmt die Farbe braun die Szenerie. Da nützen auch die paar staubigen Kakteen nix. Aber immerhin, wir kommen über den Nebel hinweg und so strahlt der Himmel schon um 7.30 Uhr, als wir losradeln. Und die Sonne wärmt. Das gibt der trostlosen Umgebung eine fröhlichere Stimmung. Und je höher wir radeln, desto netter wird die Landschaft. Das Tal weitet sich. Huaytara, unser Ziel, liegt mitten in den Bergen, schon auf 2650 Metern. Hier stehen sogar ein paar Bäume und im Tal sorgen etliche landwirtschaftliche Flächen für ein bisschen Grün.

Es ist ein recht großer Ort. Mittendrin gibt es wieder einen Platz. Das ist nett an den peruanischen Dörfern. Sobald ein paar Häuser zusammenstehen, gibt es auch einen Dorfplatz für das gesellige Dorfleben – mit leider militantem Namen: Plaza de Armas (Platz der Waffen). Komisch ist, dass er fast überall nahezu identisch angelegt wird. In der Mitte was rund umrahmtes (ein Brunnen zum Beispiel, oder ein Denkmal), dahinführend Wege mit Parkbänken vor eingezäunten Rasen- und Blumenflächen. Und für die Hygiene gibt es im Dorf ein öffentliches Bad oder zumindest Toilettenhäuschen, meist aus blaugestrichenem Wellblech zusammengeschraubt.

Ob wir denn verheiratet seien, lautet die Gegenfrage, als wir nach einem Zimmer fragen. „Si“ sagt Uwe und klopft auf seinen kambodschanischen Bambusring. Das überzeugt, wir bekommen das Zimmer. Geführt wird das Hotel von einer alten Peruanerin mit typischen cowboyähnlichem Hut und grimmigen Gesicht. Egal. Das Zimmer ist nett und hat ein großes Fenster mit Ausblick.

Noch ein Gringo unterwegs
Am Fenster hängen wir rum, als wir, wie eine Erscheinung, einen vollbeladenen Radler sehen. Es ist Luciano aus Italien, der schon seit sieben Jahren in der Welt unterwegs ist. Klar, dass alle im Dorf dachten, er gehöre zu uns und so wurde er gleich hierher geschickt. Auch unterwegs habe er bereits von Kindern gehört, dass eine „Gringa“ und ein „Gringo“ (Ausländer) auf der Straße sind. Während wir uns einen Tag akklimatisieren, radelt Luciano schon weiter. Er hats eilig, trifft er doch seine Frau Ende September in La Paz. Hier gehts zu seiner Website. veraluc.com.

Mit literweise Wasser und tonnenweise Proviant ausgerüstet, sind wir auf Selbstversorgung eingestellt. So schwer beladen und so hoch waren wir bisher noch nicht unterwegs.

Pampa und Puna

Über 4000 Meter wird die Landschaft sanft und weich, mit Grasbüscheln bedeckt, völlig baumlos. Puna heißt die Landschaft in dieser Höhe und hier sehen wir auch zum ersten Mal Lamas und Alpacas. Inzwischen sind wir auf knapp 4300 Meter und das Atmen hat sich schon zu geräuschvollem Schnaufen gemausert, die Luft ist merklich dünner.

Wir erreichen ein Dorf, das wie die Straße heißt: Los Libertadores. Vor dem einzigen Restaurant sitzen zwei junge Frauen und stricken. Sie tragen die typischen Hüte. Wir trinken einen Tee und siehen mit ein paar Kindern durchs Dorf. Es ist ein winziges Dorf, aber immerhin: Dort ist die Schule, hier wird das Gemeindehaus gebaut und bald gibt es auh eine Plaza de Armas. Die Kinder strahlen uns an, ein kleiner Junge rollt die ganze Zeit eine Kabeltrommel vor sich her. Es ist so nett in dem Dorf, wir beschließen, zu bleiben.

Im Restaurant gibt es auch ein Zimmer, in dem wir übernachten können. Wir gehen durch einen kleinen Hof. Auf der Wäscheleine hängen Tierhäute, im Waschbecken stehen Innereien.

Leben über 4000 m

Vor allem die achtjährige Ruthie leistet uns mit Ausdauer Gesellschaft leistet. Sie hat schon ganz braune und runzelige Hände. Hier oben auf gut 4300 Metern ist die Luft kalt, aber wenn die Sonne tagsüber scheint, ist die Strahlung heftig. Eine Zumutung für die Haut. Ihre kleine Schwester kann gerade erst laufen und ist in unheimlich viele Klamotten gepackt, über die zum Abschluss eine kleine Schürze gebunden ist. Das macht sie nicht gerade beweglich und so dengelt sie überall gegen und fällt ständig um.

Auch die älteren Schwestern und die Mutter sind typisch traditionell für die Region in Peru gekleidet. Viele Röcke und Blusen übereinander und Wollstrümpfe machen eine kugelige Figur, ermöglichen aber, dass frau trotz Kälte Rock trägt.

Als wir uns in unser kleines strohgedecktes Zimmerchen verkriechen, dröhnt mein Kopf. Die Höhe und der mangelnde Sauerstoff machen sich bemerkbar. Ich bin froh, dass es morgen über die Pässe erst mal wieder runter geht.

Am nächsten Morgen betritt ein völlig vermummelter Mann das Restaurant. Er sieht ganz unbeweglich eingefroren aus. Auch wir vermummeln uns, verzichten darauf, uns zu waschen. Eine kleine Wasserfläche vor dem Haus ist zu Eis gefroren.

Zwischen den beiden Pässen heute liegen ca. 30 Kilometer Hochebene. Es ist kalt und windig und geht rauf und runter. Eine Herde wilder Vicunas (so eine Art dünner Lamas) schaut uns neugierig an, um dann durch die Puna davon zu galoppieren. In der Ferne sehen wir für kurze Zeit Schneeberge.

Wir kommen ins kleine Dorf Caruacpampa, sehen zwei Frauen und einen kleinen Jungen. „Können wir hier zelten“ fragen wir. „Claro“ sagt Jhong, der Junge. Wir suchen gemeinsam einen netten Platz hinter den Häusern an der Straße, bauen unser Zelt auf und genießen die friedliche Abendstimmung mit weitem Blick in die Pampa und auf einige höhere Berge. Jhong versorgt uns mit Wasser, viele Schafe und ein paar Hunde ziehen um unser Zelt herum.

Ausnahmslos scheinen die Frauen in den Bergen die gleiche Frisur zu tragen: Zwei schwarze geflochtene lange Zöpfe. Darüber thront obligatorisch der Hut.

Zum Abendessen gibt es frittierten Fisch mit Reis. Ruthie zeigt uns ihr Englischheft. Hier in den Dörfern sprechen die Menschen Quechua, die alte Inkasprache, und Spanisch, aufgrund der langen spanischen Kolonialherrschaft. Quechua und Spanisch, das sind zwei völlig verschiedene Sprachen. Wir sind beeindruckt, dass die Kinder in der Schule in Los Libertadores sogar noch Englisch lernen. Ruth liest eifrig aus unserem Sprachführer vor, auch die Lautschrift. Ihr Vater am Nebentisch kann sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen.

Als wir gerade Tee kochen, gesellen sich Antonia und Isabel zu uns. Wir reden mit Händen und Füßen. Jhong sitzt über uns auf dem Dachbalken eines halb verfallenen Hauses und amüsiert sich immer wieder über unsere Aussprache. Mit Ausdauer versuchen die beiden Frauen, uns ein paar Wörter in Quechua beizubringen, dabei sind wir doch schon froh, wenn wir uns einigermaßen auf spanisch verständlich machen können.

Je kleiner desto wärmt

Es wird immer dunkler und kälter. Da laden uns die beiden Frauen ins Haus ein. Das Haus ist winzig, wir müssen uns bücken, um hineinzukommen. Es ist vielleicht zwei Meter breit und vier Meter lang. Auf winzigen Höckerchen hocken wir um eine Kochstelle herum. Dabei bemühen wir uns, uns an den Rand zu drängeln, denn im Haus liegen bereits die Mutter und die kleinste achtjährige Tochter unter vielen Wolldecken, im Dunkeln kaum erkennbar. Wir wollen ihnen nicht die Wärme stehlen.

Auf der Kochstelle steht ein großer Topf mit Gemüsesuppe, die Isabel verteilt. Ein kleiner Hund und eine kleine Katze liegen ebenfalls am Feuer. Es ist so unbeschreiblich einfach und nett hier. Wir fühlen uns sicher und wohl und gut aufgehoben.

Fr, 5.9.03, heute geht es über den höchsten Pass der Strecke. Mit 4750 Metern ist er fast so hoch wie der höchste Berg Europas. Auf weiten Serpentinen radeln wir bergauf. Inzwischen haben wir uns schon besser an die Höhe gewöhnt. Die Landschaft weitet sich zunehmend. Die Berge sind oft sehr bunt, mit knalligen Rottönen. Hinter dem Pass ändert sich die Landschaft. Sie ist nicht mehr so kahl. Auf weichen Feldern sehen wir viele Pferde. Es ist viel grüner und steiler hier.

Grün bedeutet jedoch meistens auch viel Regen und so wird uns die schöne Abfahrt durch schlechtes Wetter etwas vermiest. Wir werden regelrecht von den grauen Wolken verfolgt, vor uns blauer Himmel. Wir hoffen, herunterrauschend, dass wir uns noch ins Blaue flüchten können, aber die großen grauen Wolken und der Regen bleiben uns auf den Fersen.

Schön und fettig
Schließlich geben wir auf und bleiben im Dorf Alumpampa. Hinter einem Restaurant stellen wir unser Zelt auf. Dabei sind wir stets von 7 Kindern umringt. Sie beobachten und kommentieren jeden Handgriff. Uwe zieht den kleinen, grünen Zeltsack hervor, da brüllen sie alle durcheinander „Bonito!“. Was ist denn bloß an so einem Zeltsack schön?

Die 7 bleiben uns den ganzen Abend treu, auch im Restaurant. Sie heißen „Erika“ und „Gisela“ und „Rosalia“, viele Namen klingen so deutsch, ich fühle mich wie auf einer Fete meiner Mutter. Zu essen gibt es mal wieder frittierten Fisch mit Reis und Pommes. Rosalia weist streng darauf hin, dass wir ja wohl auch Kopf und Schwanzflosse essen können und dies noch und dort noch was. Bald kriegen auch die Kinder Fisch. Jetzt wird alles fettig. Kleine Fischfinger hängen um meinen Hals oder streichen durch meine Haare.

Am nächsten Tag müssen wir noch einen Pass überwinden, dann sind wir in Ayacucho.

Drei Wochen Ayacucho

Uwe: In Ayacucho ist ständig etwas los. Wir wohnen mitten im Geschäfts- und Marktviertel. Die Straßen sind voll mit Händlern, die Stapel von Unterhosen bis unterm Kinn herumtragen und Frauen mit dicken Röcken, schwarzen, langen Zpepfen und Hüten, die unter anderem leckere Chaplas, die typischen Brötchen Ayacuchos, verkaufen. Demos oder verkleidete, tanzende Menschen ziehen durch die Straßen. Es wird nicht langweilig.

Als wir erfahren, dass die Rallye „Camino de Inca“ durch Ayacucho führt, sitzen wir am Fenster und ich sage zu Claudia, dass wir uns wohl auf röhrenden Lärm einstellen müssen. Kaum ausgesprochen vernehmen wir schon ein verdächtiges Geräusch und Sekunden später braust der erste Rennwagen mit Höllenlärm durch die enge Straße vor unserem Hospedaje.

Die lebendige Stadt gefällt uns so gut, dass wir einen längeren Aufenthalt beschließen. Hier wollen wir spanisch lernen. Bei unserer Suche nach einem Institut oder einer Schule, stoßen wir auf das Colegio „El buen Pastor“. Wir gehen einfach mal rein und fragen. Jemand holt Abigail, die Tochter des Rektors aus dem Nachbargebäude. Sie spricht ganz gut Englisch und so können wir uns darauf verständigen, dass sie uns ab morgen spanisch beibringt, und wir sie im Gegenzug in Englisch etwas fitter machen.

Auch Abigail schient sich zu freuen und ihre Mama drückt Claudia gleich mal einen Schmatz auf die Wange. Wir freuen uns schon auf die erste Stunde. Wir sitzen in einem Klassenraum für die ganz Kleinen auf ganz kleinen Stühlchen und die Lehrerin Abigail bespricht mit uns Lektion 1 ihres Lehrbuchs: La Llegada, die Ankunft. Wir fühlen uns beide um mindestens 20 Jahre zurück versetzt. Die zwei Stunden vergehen wie im Flug und auch die folgenden Tage treffen wir uns immer wieder.

Vier Stunden für eine Gitarre

So lange an einem Ort, da muss eine Gitarre her. In einem Gitarrenladen frage ich nach einer Leihgitarre. Nein, sie haben nur neue Gitarren. Aber da ist zufällig Edgar im Laden. Er deutet mir an, dass er mir seine Gitarre leihen kann. Und mit der Zeit stellt sich heraus, dass er sie erst noch kaufen muss. Das dauert erstmal. Handschriftlich wird ein Vertrag aufgesetzt. Dann kommt noch die Mama. Da muss noch was hinzugefügt werden. Aber dann ist es soweit. Edgar schnallt sich etwas ungeschickt das teuere Stück (250 Soles, ca. 70 Euro) um.

Jetzt gehen wir zu unserem Hospedaje. Er will schließlich wissen, wo seine Gitarre für eine gute Woche bleibt. Ja und dann sollen wir auch noch zu ihm mitkommen, seinen Bruder kennen lernen. Vertrauensbildende Maßnahmen. Die Wohngegend außerhalb des Zentrums kommt mir etwas zwielichtig vor, aber was tut man nicht alles. Edgar wohnt einfach. Im einem Raum steht eine kleine Werkbank an der er als Kunstschmied arbeitet. Durch einen Vorhang getrennt steht im hinteren Bereich des Raumes sein Bett. So, und was ist jetzt mit der Klampfe? Als es „ernst“ wird mit der Uebergabe, wird Edgar unsicher. Aber als ich Edgar und seinem Bruder ein bisschen vorspiele wird die Stimmung wieder gut und der Deal steigt doch noch. 12 Soles für 9 Tage.

Mit gemischten Gefühlen bringen wir schließlich das gute Stück ins Hotelzimmer. Jetzt bloß keine Macken reinmachen. Trotzdem ziehen wir wagemutig bald schon mit der Gitarre zum Colegio „El buen Pastor“, um gleich mit drei Schulklassen den englischen Song „With two wings“ einzustudieren.

Viele Bekanntschaften…
Noch andere Ausländer bleiben länger als erwartet in Ayacucho. Evan ist als Backpacker von New York aus Richtung Süden geträmpt, um durch Südamerika zu reisen. Er war schon einige Kilometer raus aus Ayacucho, wollte schnellstmöglich nach Brasilien, zum Carneval nach Rio. Aber das Auto blieb liegen. Da kehrte er zurück, verliebte sich und blieb. Das ist zwei Jahre her, seit 2,5 Monaten ist er mit seiner Patti verheiratet.

und eine traurige Geschichte
So nett es in Ayacucho ist, in der Außenwelt hat Ayacucho einen schlechten Ruf, war es doch Ort zahlreicher Terroranschläge der Gruppe „Leuchtender Pfad“ Ende der 80er Jahre. Marisol ist in Ayacucho geboren und hat die Zeit des Terrorismus hautnah miterlebt. Keiner habe sich getraut, seine Meinung zu sagen, da beide Seiten, Terroristen und Militär gleichermaßen brutal und willkürlich handelten.

Zwei Bomben gingen in ihrer unmittelbaren Nähe in die Luft. In einem Fall sind ihr Fetzen eines Kinderkörpers um die Ohren geflogen. Sie und ihre Familie sind 1989 nach Lima geflohen. 1998 ist sie nach Ayacucho zurückgekehrt. Inzwischen sind viele der alten Freunde nicht mehr da. Sie fühlt sich in Ayacucho fremd und weiß jetzt gar nicht mehr, wo sie hingehört. Die Art, wie sie über sich und ihre Situation redet ist sehr offen und aufgeklärt. Sie erzählt auch von Schwierigkeiten mit den Leuten in Ayacucho, die ihr zu träge und altmodisch sind. Liegt das vielleicht an der Abgeschiedenheit in den Bergen? Oder an der Zeit des Terrorismus?

Der einzige, der der Zeit des Terrorismus noch ein kleines bisschen Positives abgewinnen kann, ist Pepe. „Da es oft Ausgangssperre gab, hatten wir viel Zeit, Kuchen zu backen und neü Rezepte zu erfinden“, meint er. Er ist auch einer der wenigen, der mit Deutschland nicht gleich Hitler verbindet, sondern feinsten deutschen HipHop. Pepe freut sich, wenn er auf der Deutschen Welle die Fantastischen Vier hören kann.

Claudia: Wieder im Gitarrenladen suchen wir ein Geschenk für Edgar. Carina schwätzt erneut auf uns ein. Wir sollen auf unserer Reise nach Cusco bloß nicht nachts Fahrrad fahren. Sie küsst einen Jesus-Schlüsselanhänger und schenkt ihn mir. Der soll uns beschützen. Das macht er fortan auch und hängt an meiner Lenkertasche. Dann kann es ja weiter gehen.