Thailand > Chiang Mai und Norden
Claudia: Chiang Mai ist die grösste Stadt im Norden von Thailand. Touristisch voll erschlossen ist unser Eindruck: Hier die Thai-Massage, dort der Thai-Kochkurs und jede Menge Trekking-Angebote zum Beispiel zu den Hill-Tribes, „One day long neck Karen“ (Tagesausflug zu den beringten Frauen mit den langen Hälsen) oder in die Natur, „Touch unspoiled nature“ (Berühr unberührte Natur – Häh?). Aber es gibt auch nette Ecken mit viel Grün und hübschen Holzhäusern. Auch ist Chiang Mai eine überschaubare Stadt und gut mit dem Fahrrad zu erobern.
Unfreiwilliger Ausflug zur Grenze
Aus unerfindlichen Gründen rast auch auf einer Langzeitreise manchmal die Zeit. Wir sind schon fast vier Wochen in Thailand, unsere Aufenthaltsgenehmigung läuft ab. Also radeln wir in Chiang Mai zum Immigration-Office. Dort können wir eine zehntägige Verlängerung bekommen, für 500 Baht (ca. 11 Euro). Das ist zu kurz, warten wir doch noch auf Ersatz für unsere Vorderradgepäckträger, die angeknackst sind. Warum nicht noch mal 30 Tage? „Da müßt ihr zur Grenze nach Myanmar und wieder nach Thailand einreisen. Diese erneute Einreise kostet nichts, gibt wieder 30 Tage Aufenthaltserlaubnis“. Was für ein Unfug! Ganz offiziell.
Aber uns bleibt nichts anderes übrig. Ein Bus bringt uns in fünf Stunden in die nördlichste Stadt Thailands, nach Mae Sai, zum Goldenen Dreieck (Myanmar, Thailand, Laos). Auf geht`s, zu Fuß nach Myanmar über eine kleine Brücke. Myanmar und Thailand sind an diesem Grenzort nur durch einen kleinen schmalen Fluss getrennt. Auf beiden Seiten erwarten uns rechts und links Verkaufsstände. Die lassen wir rechts und links liegen (bloß nicht noch mehr Gepäck aufs Rad!) und laufen den Ort hoch. Marktstände, Männer in rockartigen Stoff gewickelt, Frauen mit Puderbemalung im Gesicht, kleine Kinder strahlen uns an. Wir fühlen uns ein bisschen an Indien erinnert.
Ich kriege wieder unweigerlich Lust, Myanmar zu besuchen. Immer wieder schwärmen andere Reisende. Wir haben lange darüber diskutiert und uns (bisher) dagegen entschieden. Seit 1990 herrscht in Myanmar eine totalitäre Militärregierung. Die damaligen Wahlen sind nicht wunschgemäß ausgegangen und deshalb einfach für ungültig erklärt worden. Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat seither immer wieder Hausarrest in der Hauptstadt Ragoon. Sie ist es auch, die zum Tourismusboykott aufruft. Und tatsächlich ist es auch wohl so, dass man als Tourist kaum umhin kommt, der Regierung Geld in den Rachen zu stopfen. Andere meinen, dass Tourismus dazu beitragen kann, die Oeffnung des Landes zu fördern. Es ist schwer zu entscheiden. Wir haben uns dagegen entschieden, auch wenn Myanmar ein zauberhaftes Land sein soll…
Mönch-Tratsch
Zurück in Chiang Mai. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag ist im Wat Suan Dok „Monk Chat“. Ausländer sind eingeladen, mit den buddhistischen Mönchen zu quatschen. Die wollen ihr Englisch verbessern und – ein bisschen Sendungsbewusstsein gibt es wohl in jeder Religion – über den Buddhismus informieren.
Die Idee ist genial und es ist echt was los. Kaum angekommen werden wir von einem Mönch in Small Talk verwickelt, an einen Tisch platziert und mit Wasser und Kaffee umsorgt. Die Mönche, mit denen wir quatschen, sind zwar alle erst zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, aber bereits seit mehreren Jahren im Kloster.
Phra InLäng
und seine Mönchs-Kollegen klären uns auf: Die Buddhisten glauben an
keinen Gott. Sie verehren Buddha und folgen seiner Lehre, weil er es
geschafft hat, sich aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu befreien. Es
gibt drei Grundwahrheiten im Theravada-Buddhismus. Ich hoffe, ich gebe
sie einigermaßen richtig wieder.
1. Das Leben ist ein Kampf, unkomfortabel und unvollkommen.
2. Alles ändert sich permanent, nichts bleibt erhalten.
3. Das Leben wird in Zeit und Raum verfliegen ohne „ich“ und „meins“.
Das Verlangen und Leiden des Lebens muss überwunden werden. Wie geht das im täglichen Leben? Wohl so: „Wenn ich ein Buch kaufen will“, erklärt Phra InLaeng, „dann stelle ich mir gleich vor, jemand anderes hat es mir weggekauft, damit ich nicht enttäuscht bin, wenn es nicht mehr da ist.“ Also möglichst mit Scheiß-egal-Einstellung durchs Leben? Mich tangiert nichts? So richtig fröhlich wirkt die buddhistische Lehre auf mich nicht. Doch wenn man die drei Grundwahrheiten erstmal „geschluckt“ hat, dann gibt es wohl auch Glück und Zufriedenheit. So haben die buddhistischen Thais Spaß am Leben. Denn es zählt auch nicht das Planen und das Gestern oder Morgen. Der Moment ist wichtig und will genossen werden. Und ein buddhistischer Mönch ist glücklich, wenn er es schafft, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren.
Wir nutzen das Gespräch, um ein Interview zu führen. Auch im Interview spüren wir immer wieder die ernsthafte buddhistische Haltung des jungen Mönches. Als ich einem der Mönche einen Kugelschreiber reichen will, nimmt er ihn nicht direkt entgegen. Also lege ich den Kuli auf den Tisch und er nimmt ihn auf. Das führt uns zu der Frage, warum Mönche solche Angst davor haben, Frauen zu berühren. Die Antwort lautet: Wenn wir eine Frau berühren, möchten wir womöglich mehr und heiraten und nicht mehr Mönch sein. Die Erklärung klingt netter, als die im Reiseführer. Demzufolge hat eine physikalische Berührung mit einer Frau viele Selbstbestrafungen zur Folge. So oder so, ich muss vorsichtig sein beim Gestikulieren auf der Straße. Schon so mancher Mönch ist erschrocken zusammengezuckt. „Erwischt“ habe ich aber noch keinen.
Die zwei Stunden Chat reichen gar nicht aus, um alle unsere Fragen zu klären. Wenn Buddha kein Gott ist, warum beten dann die Menschen vor riesigen Abbildern. Und warum stehen in einem buddhistischen Tempel neben den riesigen Buddhas (stehend, sitzend oder liegend und in Thailand auch: laufend) noch so viele kleine Buddhas, zum Teil unzählige, die alle gleich aussehen. Warum ist der chinesische Buddha so dick?
Flower-Schönheiten
Samstag, 8.2.2003/2546. Um halb acht morgens beginnt die große Blumenparade auf der Brücke. Wir quälen uns aus dem Bett um pünktlich dort zu sein. „In Deutschland würde ich auch nicht zu einer Bundesgartenschau gehen“ mault Uwe, und hat damit nicht gerade unrecht. Dennoch schaffen wir es. Pünktlich und erwartungsfroh stehen wir auf der Brücke. Für Chiang Mais größtes und buntestes Festival ist ganz schön wenig los.
Und was ist das? Da sitzen ganze Bands noch gemütlich in den Pick-up-Taxis. Wir gehen runter zum Fluss und gönnen uns einen Kaffee. Auch hier sitzen farblich sortierte Menschengruppen gemütlich auf Bastmatten und essen. Was ist denn jetzt mit Parade? Um 10.30 Uhr wirds uns zu bunt. Also wenn die Parade sich nicht bewegt, dann eben wir.
So laufen wir die Straße entlang von einem blumengeschmückten Wagen zum nächsten. Dazwischen hocken Frauen in traditioneller Kleidung und mit typischen Papierschirmchen oder anderer Kostümierung. Immer wieder sitzen ganze Gruppen am Rand und futtern. Ist ja auch anstrengend, so ein Rumgehocke. Aber auch wenn die Parade ab und zu mal ein wenig in Bewegung gerät, bleiben die Bewegungen bescheiden. Slow-Motion – gut zum Fotografieren – wird auf dem Wagen manchmal getanzt.
Meistens jedoch sitzen hypergeschminkte Thai-Prinzessinnen einfach bloß rum und lächeln in die Kameras. Wir laufen eine ganze Weile die Straße entlang, fotografieren die bereitwilligen Opfer und futtern und gucken und warten. Schließlich geben wir auf, verlassen die stagnierende Parade und fragen uns, ob sie es wohl bis zu ihrem Zielort, einem Park am anderen Ende der Innenstadt, geschafft haben.
Und sie bewegen sich doch
Nach ein paar Tagen Chiang Mai wollen wir heute die Stadt verlassen und nehmen Kurs auf die Berge. Aber nach 16 Kilometern kreuz und quer durch Chiang Mai bleiben wir am Ortsrand hängen.
Rock Fest. Genau das Richtige Kontrastprogramm zu den aufgehübschten Flowerschönheiten. Das Publikum trägt konsequent schwarz, endlich kommt mein Kajalstift zu einem würdigen Einsatz. Heute sind die harten Bands am Zuge: Hardcore, Metal, NeoDeath. Dass Menschen in Thai – dieser soften SingSang-Sprache – solche Laute hervorbringen können ist unglaublich. „Der braucht sich vor keinem Hund zu fürchten“ meint Uwe, der ja immerhin selbst sehr erfolgreich darin ist, die uns Radfahrer verfolgenden Hunde mit großartigem Imponiergehabe und lautem „Ich-fress-dich-auf“ Gebrülle zu verscheuchen. „Der“ ist ein schwarz-weiß geschminkter langhaariger Thailänder. Seine Arme hält er 20 cm vom Körper entfernt, sonst würde er sich an den spitzen Nietenarmbändern verletzen.
Ab und zu streicht er sich die Haare aus dem Gesicht, als wären sie tonnenschwer. Am beeindruckensten bleiben aber die Laute, die der Mann herausbringt. Aber immerhin bringt er einen Großteil der Menge in Bewegung. Auch wenn immer noch einige Thais auf Stühlen oder auf dem Boden rumhocken. Ob Flower oder Metal – die Thais sind wohl eher ein bewegungsunfreudiges Völkchen.
Endlich Raus aus der Stadt
Am nächsten Tag schaffen wir dann doch den Absprung. Wir planen eine mehrtägige Tour durch die Berge: Chiang Mai – Mae Wang – Mae Sapok – Huai Mana – Chiang Mai. Am Nachmittag werde ich plötzlich aus einem vorbeifahrenden Geländewagen angesprochen: „Wo wollt ihr denn noch hin?“ „Huai Thong, oder so“ antworte ich. Die Frau und ein Mädchen schauen mich entsetzt an, „Das schafft ihr niemals. Bis ihr da seid ist es stockfinster und außerdem ist da nix“. Lia und Romy halten an und wir studieren gemeinsam die Karte. „Wir sind das letzte Thai-Dorf“ erklärt Lia und meint damit Mae Sapok.
Na schön, dann fahren wir eben nach Mae Sapok. Wir vereinbaren, bei ihnen im Garten zu zelten. Das ist prima, da hat sich die Frage nach einer Unterkunft schon unterwegs geklärt und wir haben noch Zeit für eine Pause am Elefanten-Camp. Ein paar Elefanten ziehen mit Touristen im Körbchensitz an uns vorbei. Ein Thai nimmt mit einem Elefanten ein Bad im Fluß. Danach wird der arme Kerl angekettet. Der Elefant natürlich, nicht der Thai. Am Elefanten-Camp ist auch Endstation für die Floßfahrten. Und hier sehen wir auch die Antwort auf die Frage, wie denn nun die Floße wieder flussaufwärts kommen. Die einfachen Floße werden kurzerhand zerlegt und die Bambusstämme auf einen Pick-up geladen und wieder hoch gefahren.
Elefanten sind keine Pferde
„White House Lodging“ ist ein schönes Holzhaus mit großem Garten, von dem man einen herrlichen Ausblick auf das Tal hat. Ein idealer Zeltplatz. Was hat die beiden nach Thailand verschlagen? „Hier kann ich meinen Beruf ausüben, ich bin Elefantentrainer“, erklärt Bodo. Mmmmhh? Schön. Aber wie kommt bloß ein Deutscher auf den Elefanten? Im Zoo. Und um möglichst viel über Elefanten zu lernen, reiste Bodo immer wieder nach Südostasien zu den Mahouts, die Arbeitselefanten schulen und trainieren. Heute darf in Thailand nichts mehr abgeholzt werden, so dass die Elefanten „arbeitslos“ geworden sind. Bodo hat inzwischen selbst fünf Elefanten. Mit Elephant-Tours bietet er kleinen Gruppen bis zu zweiwöchige Elefantenkurse an.
Uwes Frage, ob man zu Elefanten eine Beziehung aufbauen kann wie zu Pferden mag Bodo gar nicht. Elefanten seien etwas ganz anderes. „Elefanten können dir einen Knutschfleck machen, kannst du dir das vorstellen“ erklärt er dazu. Wir sitzen bis spät auf der gemütlichen Terrasse und quatschen über Elefanten, Thailand und tausend andere Themen. Sehr nett.
Buddhistischer Straßenbau
Bis heute habe ich geglaubt, 4 bis 5 Stundenkilometer kann ich immer fahren. Das ist schon gemein wenig und zeigt, dass man sich auf einer fiesen Straße befindet. Die absolute Höhe ist aber die Zahl 0 auf dem Tacho. Ich stelle fest, was ich bisher noch nicht wusste: Unter 3 Stundenkilometer zeigt mein Tacho nix mehr an, außer 0. Vermutlich glaubt er, wer langsamer fährt fällt um. Das ist auch fast so. Wir befolgen oft die Anleitung der gelben Schilder und schlängeln uns in Mini-Serpentinen die Berge rauf.
Einige Steigungen schaffe ich nur schiebend und verfluche dabei das Gepäck. Müssen Menschen Jeans tragen? Die sind verdammt schwer. Und wozu diese fette Therm-a-Rest-Matte. Manche Menschen schlafen auch in diesen Alufolien. Ich fluche und schwitze.
Uwe: Wer denkt sich nur solche steilen Straßen aus? Hat das was mit Buddhismus zu tun? Nach dem Motto „Leben ist Leiden“?
Obwohl wir durch das Gebiet der Bergvölker radeln, ist von grimmigen Wilden mit langen beringten Hälsen (der Stamm der Karen ist berühmt hierfür) nix zu sehen. Statt dessen werden wir nett angelacht wie selten zuvor in Thailand, sehen viele „ordentliche“ und bewässerte Felder und werden von zahlreichen Pick-ups überholt, die vollbeladen die Gemüseernte nach Chiang Mai fahren. Dennoch wirkt das Leben in den Bergen traditioneller. Neben den obligatorischen Fußballtrikots sehen wir auch traditionelle bunte Kleidung.
Außerdem rennt viel Vieh auf der Straße rum. Vor allem als wir uns verfahren und am Ende der Sackgasse in einem kleinen Dorf landen. Nackte Kinder, einfache Holzhütten, unbefestigte Wege und haufenweise Schweine und Hühner.
Knapp eine Millionen Menschen aus den umliegenden Ländern sind in
Thailand eingewandert und leben hier in verschiedenen Stämmen. Thailand
tolerierte die Einwanderer und heute sind es gerade die Hill Tribes mit
ihren verschiedenen farbigen Trachten, die für den Norden von Thailand
stehen und mit denen kräftig um Touristen geworben wird.
Wieder in Chiang Mai
Claudia: Nach unserer viertägigen Tour durch die steilen Berge landen wir wieder in Chiang Mai. Unsere telefonische Reservierung hat nicht geklappt. Uns wurde kein Zimmer frei gehalten. Wir suchen weiter bei den unfreundlichen Besitzern der zahlreichen Guesthouses. Eine Frau weiß nicht, was ihr übles Zimmer kosten soll und geht einfach weg. Dann eben nicht. Wir landen schließlich bei einem Inder. Der ist sehr offen und nett und gibt uns gleich einen Zeitungsartikel über einen Radler, der 18 Jahre unterwegs war, als er bei ihm einkehrte. Die hygienischen Verhältnisse sind jedoch leider auch indisch. Überall liegen diese weißen Kakerlaken-Vertreib-Kugeln herum. Der Gestank ist entsetzlich. Morgens übergibt sich ein Gast geräuschvoll. Hat er womöglich hier gegessen. So nett der indische Besitzer auch ist, wir ziehen am nächsten Tag weiter.
Denn Chiang Mai ist eine ähnliche Touristenschleuse wie Bangkok. Abends ist alles ausgebucht. Am nächsten Tag gibt es dann morgens wieder überall Zimmer. Wir sind inzwischen ganz routiniert, schon zum dritten Mal in Chiang Mai.
Jetzt machen wir es uns gemütlich und bekleben die Wände mit Karten damit wir unsere Weiterreise besser planen können. Aber unsere Post – neue Vorderradträger – ist immer noch nicht da. Der Postbeamte kennt uns schon und fiebert mit uns.
Ein Paket auf Irrwegen
Schließlich fragen wir bei einem privaten Paketdienst nach und erfahren, dass unser Paket mit den sehnsüchtigst erwarteten Vorderrad-Gepäckträgern längst in Chiang Mai auf unser gewartet hat. Aber weil wir es nicht rechtzeitig abholten wurde es wieder zurück nach Deutschland geschickt. Und zwar am Vortag! Das gibts doch gar nicht ! Als ich das höre, muss ich mich erst mal setzen. Na gut, dann radeln wir halt mit den reparierten Trägern weiter und versuchen es später nochmal.